Diese Woche erschien im Reclam-Verlag das Sachbuch Star Wars. 100 Seiten in den Läden. Der Autor Andreas Rauscher, PD Dr. habil. ist momentan Akademischer Oberrat für Medienwissenschaft / Medienästhetik mit den Forschungsschwerpunkten Filmwissenschaft, Game Studies und Cultural Studies an der Universität Siegen. Neben zahlreichen Veröffentlichungen im Bereich Film, Games und Popkultur hält er in regelmäßigen Abständen Vorträge in ganz Deutschland zum Science-Fiction-Genre.
Andreas Rauscher hat sich Zeit genommen für ein kleines Interview, um mit uns über die wissenschaftlichen Aspekte von Star Wars zu reden und warum sein Buch ein persönliches Anliegen von ihm war:
Was verbindet Sie mit dem Star-Wars-Universum?
A New Hope war der erste Film, den ich im Kino gesehen habe. Das war im Sommer 1982, zuvor kannte ich bereits die Romanadaptionen und die im Ehapa Verlag veröffentlichten Marvel-Comics. Es war in jeder Hinsicht eine prägende Erfahrung. Meine Begeisterung für das Kino wurde durch die Star Wars-Filme geweckt. Meine spätere Berufswahl als Filmwissenschaftler wurde ebenfalls dadurch geprägt. Über George Lucas und die verschiedenen Einflüsse, die ihn geprägt haben, entdeckte ich nach und nach wichtige und aufregende Kapitel der Filmgeschichte: von den Samurai-Epen Akira Kurosawas über die Flash Gordon-Serials des Classical Hollywood bis hin zur künstlerischen Aufbruchsstimmung des New Hollywood, die Spielberg und Lucas in den 1970er Jahren maßgeblich mitgeprägt haben (auch wenn ihnen später einige Kritker*innen und orthodoxe Cineast*innen vorwarfen, dass sie mit ihren Erfolgen an der Kinokasse die Rebellion der Regisseur*innen vorzeitig beendet hätten).
In den frühen 1990er Jahren habe ich mit Begeisterung die Romane von Timothy Zahn verschlungen [Anm.d.Red.: Thrawn-Trilogie]. Ich hatte gerade mit dem Studium begonnen und eines meiner ersten Hausarbeitsthemen war auch gleich in einem Seminar zur Geschichte des Science-Fiction-Films der filmgeschichtliche Hintergrund der ersten Trilogie.
Star Wars hat mich die ganzen Jahre hindurch begleitet, als Thema verschiedener Artikel und Konferenzbeiträge. 2008 und 2015 habe ich auch eigene filmwissenschaftliche Seminare dazu angeboten.
Dass es allerdings über vierzig Jahre dauern würde bis die Anfang der 1980er Jahre versprochenen neuen Episoden vollständig sind, hatte ich 1982 natürlich nicht erwartet. Damals war es schon eine lange Wartezeit, bis Weihnachten 1983 mit Return of the Jedi endlich das offene Ende von Empire Strikes Back aufgelöst wurde.
Wieso ist eigentlich Star Wars aus der wissenschaftlichen Sicht so interessant?
Star Wars ist nicht nur eines der prägendsten kulturellen Phänomene der letzten vierzig Jahre, sondern auch eine ausgesprochen aufregende und stilprägende Mixtur aus den unterschiedlichsten filmischen und kulturellen Einflüssen. Der US-amerikanische Medienwissenschaftler prägte Mitte der 2000er Jahre den Begriff des Transmedia Storytelling. Jedes Medium, Filme, Comics, TV-Serien, Videospiele, Romane, usw., leistet dabei einen eigenen Beitrag zur Ausgestaltung einer fiktionalen Welt. "Star Wars" bildet für mich, neben "Star Trek", eines der Musterbeispiele für ein derartiges Mythen-Patchwork.
Zur besonderen Eigendynamik gehört auch die kreative Beteilgung der Fans, die sich nicht einfach von der Kulturindustrie die fertigen Stoffe vorsetzen lassen, sondern durch Fan-Filme, auf Conventions und in selbst verfassten Geschichten und Game-Kampagnen einen wichtigen Beitrag zur Kreativität der weit entfernten Galaxis leisten.
Neben der Filmwissenschaft beschäftige ich mich auch noch ausgiebig mit Videospielen und in diesem Bereich war der Einfluss der ersten Trilogie mindestens genau so prägend wie auf die Filmgeschichte.
Die Prequels liefern, trotz aller problematischer Seiten, einen der Präzendenzfälle für ein Erzählkonzept, das sich nicht mehr auf einen traditionellen linearen Ablauf beschränkt. Und The Empire Strikes Back zählt neben Godfather Part 2 und Batman Returns zu den interessanten Ausnahmefällen, in denen ein Sequel nicht nur mit dem Vorgänger mithalten kann, sondern diesen auf verschiedenen Ebenen künstlerisch sogar noch übertrifft. An den aktuellen Filmen finde ich sehr interessant, wie die Charaktere parallel zu ihren Rollenfiguren auch real gealtert sind und die Saga an eine neue Generation übergeben. Zuerst hatte ich angesichts des Verkaufs von Lucasfilm an Disney starke Bedenken, dass die neuen Filme zu kalkuliert und kommerziell ausfallen könnten. Aber bisher war ich mit den Ergebnissen sehr zufrieden. Auch die Serie The Mandalorian sieht sehr vielversprechend aus. Ausgerechnet Werner Herzog, einen der exzentrischsten Regisseure des Neuen Deutschen Films, in einer Nebenrolle zu besetzen war schon ein ziemlich genialer Coup. Noch lustiger fände ich es, wenn er auch einmal die Regie übernehmen würde.
In der Vergangenheit haben Sie auch bereits verschiedene Vorträge gehalten zum Thema Star Wars. Auf dem Zukunftskongress im Sommer 2019 in Stuttgart war Ihr Thema Viel Zitieren Du musst – Mythen und Mutationen des Star Wars-Universums. Warum sind die Mythen und Mutationen so wichtig für das Science-Fiction-Genre?
Star Wars führt beispielhaft vor, wie sich Science-Fiction mit anderen Genres kombinieren lässt. In den Filmen finden sich Elemente des Western, des Abenteuer- und Piratenfilms und der Fantasy ebenso wie klassische Topoi der Science-Fiction. Während Star Trek sich auf einer diskursiven Ebene mit den Motiven der Science-Fiction auseinander setzt, realisiert Star Wars den Ausbau des Genres als schillernden Abenteuerspielplatz, der die unterschiedlichsten Einflüsse aus der Filmgeschichte integriert.
Dabei funktionieren die Filme von George Lucas, ähnlich wie auch die Arbeiten seines Freundes und Kollegen Steven Spielberg, immer auf mehreren Ebenen. Die Star Wars- und Indiana Jones-Filme lassen sich auf einer ganz unmittelbaren Ebene als brillantes Kino der Attraktionen mit einfallsreichen Special Effects, phantastischen Szenarien und stilprägenden Action-Sequenzen genießen. Zugleich gibt es aber immer noch eine zusätzliche subtile Ebene, die auf Vorbilder aus der Film- und der Popgeschichte verweist. Bildzitate aus den Flash Gordon-Serials, Variationen zu einer Szene aus dem Western-Klassiker The Searchers von John Ford, die Parallelen zwischen C3PEO und dem Design des Roboters Maria aus Fritz Langs Stummfilmklassiker Metropolis. Der immense kulturelle Einfluss von Star Wars zeigt sich jedoch auch darin, dass in den neueren Episoden zunehmend das selbst geschaffene Universum als Bezugspunkt dient.
Wie kam das Buch Star Wars. 100 Seiten bei Reclam zu stande?
Ich hatte vor einigen Jahren bereits in einem Reclam-Band über Science-Fiction-Filme den Artikel zu Star Wars übernommen, den ich regelmäßig um die neuen Episoden aktualisierte. Als ich die Aktualisierungen zu The Force Awakens übernahm, dachte ich mir, dass es an der Zeit wäre, die gesammelten Recherchen zu Star Wars endlich einmal zu einem eigenen Band, der einsteigerfreundlich und zugleich auch für Kenner*innen des Franchise interessant ist, zu bündeln. In meinen filmwissenschaftlichen Artikeln kam die Star Wars-Saga immer wieder in den unterschiedlichsten Kontexten vor, von den Wechselspielen zwischen Filmen und Videospielen über Wüstenlandszenarien im Film bis hin zum Sound Design. Nachdem jetzt tatsächlich noch die abschließende Trilogie der Skywalker-Saga zustande kam, schien mir das ein guter Zeitpunkt um endlich einmal die gesamte Saga in einem eigenen Buch in den Blick zu nehmen.
Was kann der Leser vom Buch erwarten?
Das Buch stellt die film- und kulturgeschichtlichen Hintergründe der drei Trilogien vor: von den Anfängen im New Hollywood über die Besonderheiten des Ausbaus zum Franchise, der in dieser Form neuartig war, bis hin zu einer Neubewertung der häufig unterschätzten Prequels. Parallel dazu werden auch die Ansätze des Expanded Universe und der kulturelle Einfluss der Filme thematisiert.
Es gehört zu den wiederkehrenden Mythen einer wertkonservativen Cineasten-Traditon Lucas und Spielberg für das Ende des künstlerisch ambitionierten New Hollywood, dem sie in den 1970er Jahren angehörten, verantwortlich zu machen. Mir ist es ein besonderes Anliegen eine ausdifferenziertere Perspektive auf die Star Wars-Saga, die ihre ganz eigenen filmkünstlerischen Verdienste hat, zu entwickeln. In einigen Punkten ist George Lucas, der aus der alternativen Szene San Franciscos in den späten 1960er Jahren kam, progressiver und reflektierter als seine in ihrer Borniertheit manchmal allzu bequemen Kritiker.
In wieweit unterscheidet sich Star Wars. 100 Seiten von anderen Sachbüchern, die Sie bereits geschrieben haben?
Der Band ist essayistischer und persönlicher als die Sachbücher, die ich zu den Simpsons, James Bond, dem tschechoslowakischen Kino der 1960er Jahre und zu verschiedenen Videospiel-Themen mit herausgegeben habe. Es finden sich zwar auch einige der filmwissenschaftlichen Perspektiven zu Star Wars darin, aber im Unterschied zu meiner alltäglichen Arbeit in Academia konnte ich das Thema lockerer angehen. Es machte auch Spaß, nachdem ich vor sechzehn Jahren meine Dissertation über die gesellschaftlichen Bezüge der Star Trek-Serien geschrieben hatte, endlich auch einmal das andere Sci-Fi-Franchise, das mich eigentlich noch maßgeblicher geprägt hat, ausgiebig in einem eigenen Buch würdigen zu dürfen.
Hat sich das Buch beim schreiben entwickelt oder hatten Sie von Anfang an eine klare Struktur im Kopf?
Die Struktur hatte ich eigentlich durch die Vorträge und die anderen Artikel bereits von Anfang an relativ klar im Blick. Mich interessierte die Entwicklung von George Lucas, die etwas Tragikomisches hat. Bereits zu den Zeiten des New Hollywood wollte er immer unabhängig von den Produzenten und Studiobossen, die nicht an Filmgeschichte und Kreativität interessiert waren, sein. Neben Steven Spielberg konnte er als einziger der Clique aus den 1970er Jahren tatsächlich seine Unabhängigkeit erreichen. Allerdings um den Preis, dass er unabsichtlich genau jene Stilvorlage für zukünftige Blockbuster-Produktionen lieferte, mit denen sich die Hollywood-Studios sanierten. Neben dieser filmhistorischen Perspektive wollte ich außerdem die Entwicklung von einer Hommage an die Serials und Abenteuerfilme des Classical Hollywood hin zum paradigmatischen Beispiel für einen komplexen medien- und inzwischen auch generationenübergreifenden Kosmos nachvollziehen.
Welche Passage im Buch ist Ihre persönliche Lieblingsstelle?
Von den persönlichen Star Wars-Erlebnissen, wie wir Anfang der 1980er Jahre die Han Solo-Spielzeugfigur in die Tiefkühltruhe befördert haben, da keine Karbonit-Anlage zur Verfügung stand. Von den allgemeineren Anekdoten die Geschichte, wie der postmoderne Surrealist David Lynch von George Lucas die Regie zu Return of the Jedi angeboten bekam, beim Anblick der Ewoks aber vom blanken Entsetzen erfasst wurde und dankend ablehnte.
Was sind Ihre nächsten Projekte? Worüber wird es in Ihrem nächsten Vortrag gehen?
Im nächsten Vortrag wird es um spielerische Erweiterungen filmischer Vorlagen gehen, eine zentrale Passage widmet sich den Star Wars-Spielzeugfiguren, die von Fan-Filmemacher*innen häufig auch für eigene Stop Motion-Filme verwendet wurden. Die Vorträge danach widmen sich Monsterdarstellungen in Videospielen, der Geschichte der Arcade-Videospielhallen und den Zukunftsperspektiven in Science-Fiction-Filmen. Außerdem halte ich parallel auch immer wieder Einführungen zu unterschiedlichen Filmklassikern, vom osteuropäischen Kino der 1960er Jahre bis hin zum phantastischen Film der 1980er Jahre und zu aktuellen Independent-Filmen.
Meine nächsten Projekte sind ein Buch über die bisher kaum beachteten Austauschprozesse zwischen Comics und Videospielen, sowie ein Sammelband zum Regisseur und Allround-Künstler David Lynch. 1983 hätte er beinahe Return of the Jedi inszeniert, seine surreale Alptraum-Variante von Jabbas Palast hätte ich zu gerne gesehen. Aber vielleicht dreht Werner Herzog ja noch für The Mandalorian eine Episode, in der Boba Fett versucht die Slave I über ein Gebirge zu ziehen, wie einst Klaus Kinski einen Raddampfer in Herzogs Fitzcarraldo über die Berge befördern wollte.
Vielen Dank für das tolle Interview und den kleinen Einblick in die Wissenschaft von Star Wars!
Wenn ihr mehr erfahren wollt über Andreas Rauscher nächsten Projekte, schaut doch einfach aus seiner Homepage andreas-rauscher.de vorbei.
Für alle, die neugierig geworden sind auf Star Wars. 100 Seiten können das Buch natürlich in jeder guten Buchhandlung finden oder auch bei Amazon.de bestellen.
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