Morgen vor einem Monat erschien Daniel José Olders Roman Last Shot in englischer Sprache. Grund genug, dachten wir uns, für eine Rezension:
Inhaltlicher Abriss
Zwei Jahre sind seit der Schlacht von Jakku vergangen und die Neue Republik befindet sich noch in der Findungsphase. Han Solo ist zu einem Held der Rebellion geworden – doch der Kampf gegen das Imperium ist nun zuende und die nun herrschende bürokratische Routine der jungen neuen Republik langweilt Han zunehmend. Doch plötzlich steht Lando Calrissian vor Hans Tür – und ersucht Han um Hilfe gegen eine Bedrohung aus ihrer Vergangenheit.
Han folgt Landos Aufruf – nicht nur auf einer Reise durch den Weltraum, sondern auch durch ihre Vergangenheit und die daraus erwachsenden Altlasten.Strukturelles & Handlung
Schon die ersten Beschreibungen des Romans zeigten, dass die Geschichte nicht einem Lebensabschnitt von Han und Lando folgt, sondern verschiedene Abschnitte der Biografie unserer Helden verbindet, die thematisch eng miteinander verwoben sind. Dies geschieht allerdings nicht – wie man vielleicht annehmen konnte - in chronologischer Abfolge. Stattdessen wechseln sich die verschiedenen biografischen Passagen der Vergangenheit und des 'erzählerischen Jetzt' teilweise schnell ab – und sind so miteinander verwoben, dass die Ereignisse der Vergangenheit und der Gegenwart (ebenso wie die damit verbundenen Enthüllungen) einander stützen und die Handlung gemeinsam aufbauen.
Soweit zumindest die Absicht des Autors. Tatsächlich funktioniert dies meines Erachtens besonders in der ersten Hälfte des Geschichte sehr gut: Der Prolog erreicht jedenfalls sein wahrscheinliches Ziel, Spannung aufzubauen. Man möchte wissen, wie die Geschichte weitergeht bzw. wie sie zustandekommen ist. Auch die enge Verwobenheit mehrerer Zeitlinien zum Aufbau einer übergreifenden Handlung (wer z.B. Stephen Kings 'Es' gelesen hat, weiß, was ich meine) ist in der ersten Hälfte wirklich sehr gut gelungen. Unterstützt wird dies durch die relative Kürze der einzelnen Kapitel, die sich sehr entspannt lesen. Die dadurch entstehenden, schnellen Wechsel des zeitlichen Rahmens und der Umstände unserer Helden tragen zusätzlich gelungen dazu bei, die Spannung hochzuhalten.
Vor allem im letzten Drittel des Romans jedoch zerfasert sich mir die Handlung stellenweise zu sehr, sodass ich mir stellenweise nicht mehr sicher war, wo und wann ich mich genau befinde bzw. wer gerade welche Agenda verfolgt - irgendwann begann ich langsam aber sicher damit, durch die Handlung zu trudeln. Auch kam es in den späteren Phasen des Romans immer wieder zu unnötigen Längephasen.
Ich bin allerdings nicht sicher, ob dies den narrativen Schwächen des Romans zuzuschreiben ist: Gut möglich, dass dieser Eindruck durch meine Leseweise zustandegekommen ist, da mich die Schurkenjagd v.a. in der zweiten Hälfte des Romans thematisch deutlich weniger interessierte und ich das Buch dementsprechend vielleicht nicht immer so aufmerksam gelesen habe, wie jemand, der sich thematisch mehr begeistert. Leser, die sich mehr als ich für die Schurkenjagd interessieren, dürften die Zerfaserung als deutlich weniger stark wahrnehmen.Figuren & erzählte Welt
Eine wirklich große Stärke des Romans. Besonders auf den ersten siebzig Seiten hat mich die Darstellung der Solo-Familie und von Lando wirklich positiv überwältigt; ich kann mich neben Crispins Han-Solo-Trilogie kaum an Romane erinnern, die Han und Lando derart gut sprachlich und charakterlich glaubhaft getroffen haben; auch Leia und der kleine Ben fügen sich sehr gelungen und harmonisch in die Handlung ein – wobei auch Hans Vaterrolle für mich überraschend deutlich wie plausibel darstgestellt wird. Ebenso gibt es für Star-Wars-Verhältnisse bemerkenswert explizite Szenen und Schilderungen von Gefühlen, die sich in Bezug auf Darstellung und Stil durchaus mit Lost Stars vergleichen lassen – und fast ebenso gekonnt getroffen sind. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass dies bei Last Shot lediglich ein Nebenelement ist, während es in Lost Stars ein zentrales Element des Handlung ist.
Auch weitere Figuren wie Mon Mothma, Landos Twi'lek-Freundin und eine bereits aus den Comics der Einheitskontinuität bekannte Figur aus Hans Vergangenheit fügen sich – trotz dem sie fast nur auf ihre Rollen beschränkt werden – absolut grandios in die Handlung ein, was aus meiner Sicht vor allem dadurch geschieht, dass die Interaktion dieser Figuren mit den Hauptfiguren sehr lebendig ist und die Figuren sich auch sprachlich voneinander abheben. Ergänzt wird die Figurenkonstellation überdies auch durch Figuren, die in Solo: A Star Wars Story aufgegriffen werden. Die Konstellation der Figuren miteinander und ihre Verhältnissen funktionieren aus sich heraus exzellent; auch wenn besonders gegen Ende immer weniger für mich spannende neue Details zu den Figuren auftauchen. Dies war vor allem hinsichtlich der späteren Handlung für mich schade, da v.a. dieses Element die Figurenerzählung für mich so reichhaltig gemacht hat. Auch mit dem Hauptbösewicht hatte ich beim Lesen gewisse Schwierigkeiten – während er auf seiner Heimatwelt für mich plausibel dargestellt wurde, fehlten mir vor allem im weiteren Verlauf der Erzählung Prägungen und Charakteristika, die ihn als Figur lebendiger bzw. plastischer gemacht hätten. Weniger gravierend als oben muss ich allerdings auch hier hinzufügen, dass man die Figur bei größerem Interesse an den Verfolgungspassagen von Leserseite möglicherweise besser hätte greifen können.
Wunderbar gelungen finde ich auch, wie sich die Hauptfiguren v.a. auf den ersten siebzig bis hundert Seiten in die erzählte Welt fügen, v.a. Han und Leia in ihr Milieu der noch jungen Neuen Republik. Schön finde ich auch, dass mindestens eine Welt aus Hans Vergangenheit, die wir aus den Filmen kennen, plausibel und an der richtigen Stelle eingebaut wird. Auch wenn sich die Handlung auf Chandrila vor allem in der Unterkunft der Solos abspielt und der neue Senat ebenso wie die Bürokratie-Aufgaben der Neuen Republik nur am Rande angerissen werden, tragen die entsprechenden Passagen schön dazu bei, dass das Milieu der Solos, und damit auch Chandrila und die entstehende Neue Republik mit ihren Problemen insgesamt deutlich greifbarer für den Leser werden.Sprachliches
Für mich sprachlich klar einer der besten Star-Wars-Romane des neuen Kanons und vielleicht des gesamten Romansektors. Nicht nur variiert Older die Sprache der Figuren äußerst gelungen und greift Tonfälle und Redewesen geradezu exzellent auf; er baut auch Humor und Komik aus meiner Sicht sehr gelungen ein und kombiniert dies besonders auf den ersten ca. 70 Seiten mit lebendigen, kreativen Schilderungen der Ereignisse. Das sprachliche Sahnehäubchen sind meiner Meinung nach Olders verhältnismäßig zahlreiche Wortneuschöpfungen, die nicht nur perfekt in die gewöhnliche Sprache einfließen, sondern auch gekonnt genutzt werden, um Umstände authentisch zu schildern.
Das einzige Manko in sprachlicher Hinsicht ist für mich der Umstand, dass Older deutlich häufiger als notwendig fremde Sprachen in Dialogpassagen einfließen lässt, die man als Leser nicht versteht. Ich habe die Passagen mit der Zeit einfach überlesen, sie bieten dem Leser in diesem Aufkommen aus meiner Sicht keinen Mehrwert mehr.Extras
Neben den oben erwähnten Infos über die erzählte Welt und die Einbettung der Solos in deren Milieu, gibt es vor allem in der ersten Hälfte viele weitere meist witzige Elemente, welche für den Zusammenhang und das Voranschreiten der Handlung nicht wichtig sind, aber dazu beitragen, die Welt, die Figuren und damit letztlich auch die Handlung gelungen farbiger werden zu lassen.
Hie und da werden auch Elemente der Legends wieder so in den Kanon übernommen, dass es niemanden stört und sich eingefleischte EU-Fans sogar freuen. Neben der oben erwähnten Figur aus Hans Vergangenheit im neuen Kanon finden weitere Figuren und Ereignisse der Einheitskontinuität – v.a. aus der Aftermath-Trilogie - gekonnt Randerwähnung, wobei ich es toll finde, dass Older es schafft, auch die Geschichte dieser Elemente so weiterzuerzählen, dass keine Leser zurückbleiben, welche diese Geschichten nicht gelesen haben. Leser, welche die Aftermath-Trilogie gelesen haben, bekommen zusätzlich erfrischende Fortsetzungshinweise, ohne, dass andere Leser darunter leiden.Fazit
Ein Buch, das mich wirklich zwiespaltet: Einerseits sprachlich grandios, mit v.a. anfangs tollen Figurendarstellungen, Extras und Vernetzungen im Sinne der Einheitskontinuität und hinsichtlich der Biografien von Han und Lando. Besonders auf den ersten 70 Seiten überzeugt mich auch die Handlung des Romans in den weitesten Teilen. Dann tritt für mich allerdings eine übersteigerte Zerfaserung der Handlung ein, die Detailfülle der erzählten Welt nimmt ab und die Längen im Handlungsstrang nehmen für mich zu – da ich mich ehrlich gesagt thematisch nicht so sehr für Verfolgungs- und Jagdhandlungen interessiere. Gut möglich ist hingegen, dass insbesonders die Kritikpunkte von anderen Lesern, die sich mehr für die Thematik interessieren, als deutlich weniger störend wahrgenommen werden.
Letztlich sollte man sich meines Erachtens als Leser die Frage stellen, welche Elemente einen selbst wie stark interessieren: Nach anfänglichem Fokus auf einer Verortung der Figuren in der erzählten Welt fokussiert sich der Roman später sehr auf die Themen Suche und Verfolgung, was vor allem angesicht der Vorabdarstellung des Romans völlig legitim ist (auch wenn ich persönlich dies nicht so spannend finde). Für mich sicher weder einer der besten Romane des Kanons, sondern eher im Mittelfeld angesiedelt – eingedenk seiner für mich klaren Stärken allerdings im oberen Mittelfeld.
Wer Interesse am Roman hat, kann diesen hier als Hardcover bestellen und dort als Taschenbuch vorbestellen. Die deutsche Übersetzung wird voraussichtlich im Sommer 2019 bei Blavalet erscheinen. Habt ihr den Roman bereits zuende gelesen?
Seite 1
Die Review deckt sich zu 100% mit meinem Empfinden.
Die Charaktere sind super getroffen; das Feeling nah an den ganz alten Han und Lando Romanen passt, der Humor sitzt und hat so tolle Szenen (mit L3, Ewoks und Gunganern). Die Vernetzung des Post ROTJ Universums war auch sehr schön.
Mein dickes (und leider wirklich dickes) Problem mit dem Buch ist die viel zu übetriebene Zersplitterung der Handlung in 4 Zeiteben. An sich mag ich diese Art der Erzählung (gebt mir Lost und Westworld jederzeit) aber hier gelingen die Übergänge nur selten und befeuern mit den Sprüngen nicht das Interesse weiterzulesen sondern hindern daran die eigentlich tolle Geschichte zu genießen.
Ich habe das Gefühl, hätte ich die Lando und Han Passagen als geschlossene Geschichten in der Geschichte gehabt wäre das Buch locker einer 10/10 für mich geworden. So bleibt es leider hinter seinem großen Potenzial.
McSpain
CmdrAntilles
Konfuse Handlungsfäden, irrelevante Handlung, villain of the week mit haarsträubender Superwaffe, unsinnige Charaktere (von denen einer nicht-binär ist, was irritiert und zu sehr den momentanen gesellschaftlichen Diskurs in den USA durchblicken lässt), zu gewollt coole Sprache, die doch nur an die Generation Twitter erinnert (aber doch nicht so sehr wie in Wendigs unseligem Aftermath).
Insgesamt einer eher missglückte, in jedem Fall aber zu vernachlässigende Auftragsarbeit.
Was ich nach der Lektüre gerne hätte: ein Buch über Hans und Leias Trennung.
Edit.: Bei weiterem Nachdenken ist zumindest die anfängliche Vorgehensweise des Schurken ganz interessant, zumal man ja mittlerweile dankbar sein muss, dass klassische Spezies verwendet werden.
(zuletzt geändert am 17.05.2018 um 10:12 Uhr)
Darth Enel
DreaSan
Darth Enel
TauntaunRider
McSpain
Byzantiner
@DreaSan
ATST natürlich. Scheinbar schreibe ich laut autocorrect mehr über die großen Brüder.
@Byzantiener:
Schöner wäre ein konsequenter Umgang mit toxischen Themen und Usern die diese Wiederholt vortragen auch wenn diese in freundliche Worte gepackt werden. Primär weil diese langfristig das Ziel haben den Diskurs zu kippen und zu provozieren, dass Stellungnahmen wiederum sich im Ton vergreifen und damit ihren Standpunkt von offizieller Seite validiert bekommen. Auch wenn es nicht so gemeint ist führt ein oberflächlich "fair" oder "freundlich" angestrebte Regelung langfristig so zum Gegenteil.
(zuletzt geändert am 18.05.2018 um 08:33 Uhr)
McSpain
Byzantiner
Seite 1
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