Zum Monatsausklang wagen wir uns noch einmal an eine Zeitreise. Diesmal führt sie zurück zum 23. Mai 1971 und einem jungen George Lucas im Gespräch mit dem San Francisco Chronicle:
Wer George Lucas kennt, attestiert ihm oft das Temperament eines Künstlers, der allein in seinem Atelier arbeitet, aber auch ein gutes Gespür für geschäftliche Angelegenheiten, das vor allem auf die Erhaltung seines Werks gerichtet ist. Er ist ein sehr privater Mensch mit einer unglaublichen Empfindsamkeit für alles Visuelle. Und ein ihm erstaunlich wohlgesonnener leitender Mitarbeiter von Warner Bros. meint über Lucas: „Er ist ein echter Autoren-Filmemacher, jemand, der sehr persönliche Filme zu entwickeln weiß und von großen Studios entsprechend vorsichtig angefasst wird.“
Vorsichtig nicht, kontert Lucas. Willkürlich. Die Arbeit an seinem ersten Kinofilm, THX 1138, ähnelte von Anfang bis Ende einer Schlacht. Der Film zeigt ein hypnotisierendes Panorama einer beunruhigend automatisierten Gesellschaft, aus der ein Mann auszubrechen versucht. Manchmal scheint es, als wäre Lucas selbst dieser Mann. Warner hielt den Film letztlich trotz allem für einen Reinfall, meint Lucas, doch die Kunstfertigkeit des Films entlockte Life und Newsweek Jubelschreie.
Der 26jährige Lucas könnte noch immer als dürrer Teenager durchgehen, wären da nicht sein dunkler Bart, seine Brille mit dunklem Rahmen und die Haltung eines Mannes, der seinen Platz gefunden hat. Als Regisseur führte er ein straffes Regiment und schaffte es, seinen Film mit weniger als den ursprünglich angesetzten 750.000 USD und in weniger als den geplanten 10 Drehwochen fertigzustellen. Sein Kameramann war David Meyers.
Im Dachgeschoss seines kleinen Hanghauses im kleinbürgerlich geprägten Mill Valley verbrachte Lucas sechs Monate mit dem Schnitt von THX 1138, an dem er ununterbrochen 7 Tage die Woche mit seiner Frau Marcia und seinem Kollegen Walter Murch arbeitete, der mit Lucas das Drehbuch fertigstellte und die unheimlich misstönenden Toneffekte beisteuerte. Als Inspiration mag ihm dabei eine Großaufnahme Eisensteins gedient haben, der auf einem Bild im Untergeschoss über einem Filmstreifen brütet.
Lucas muss schnell klargeworden sein, dass ein großer Unterschied zwischen dem besteht, was ein Filmemacher in diesen Einzelbildern sieht und was Geschäftsleute sehen wollen. Warner verlangte einen Rohschnitt zu sehen, bevor der Film dafür bereit war, und schloss Lucas dann von dessen Vorführung aus. Überfordert von den abstrakten Bildern und der bewusst unverständlichen Tonkulisse beschwerte sich das Studio bei Produktionsleiter Francis Ford Coppola und forderte ihn auf, den Film klarer zu gestalten.
Doch selbst die fertige Fassung stellte Warner nicht zufrieden. Auf Anweisung des Studios holte ein Psychologe Publikumsreaktionen ein, um festzustellen, wie viel die Zuschauer verstanden. „Das war einfach irrsinnig“, meint Lucas lachend. „Ich wünschte, ich hätte das mitfilmen können. Es war ein wenig so, als würde man ein Publikum zur Mona Lisa schleppen und fragen, ob jeder verstanden hätte, wieso sie lächelt. ‚Tut mir leid, Leonardo, Du wirst wohl ein paar Änderungen machen müssen.‘ Aber zumindest hat das Publikum verstanden, dass THX keine Liebesgeschichte aus dem 25. Jahrhundert war, als die Warner den Film bewerben wollte. Stattdessen wurde dort beschlossen, den Film mit dem Spruch ‚Entdecke eine Zukunft, wo Liebe das größte Verbrechen ist‘ zu versehen.“
Aus Lucas‘ Sicht geht es weder um Liebe, noch um die Zukunft. Er hatte eine sterilkalte Welt aufgenommen, in der jeder Pillen einwirft, um sich ruhigzustellen und niemand aus der Reihe tanzt, in der Computer alles über jeden wissen. Für Lucas war das eine „Abstraktion von 1970“, eine entsetzliche Vision einer Zukunft, die bereits begonnen hat.
Kurz gesagt geht es um ein Mädchen, das für seinen Mitbewohner THX 1138 weniger Pillen nimmt, worauf dieser ein nie dagewesenes Gefühl der Leidenschaft empfindet, für seine illegale sexuelle Aktivität verhaftet und in einem als endloser weißer Raum ohne Gitter gestalteten Gefängnis eingesperrt wird und nach einer riskanten Flucht, bei der er von Polizeirobotern verfolgt wird, allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz entkommt.
„Die Handlung diente nur dazu, das Grundmotiv zu transportieren“, so Lucas, „und dieses wiederum ist von grundlegend existentieller Art. Es geht um die Bedeutung des eigenen Selbst, die Fähigkeit, sein aktuelles Umfeld zu verlassen und sich weiterzuentwickeln, anstatt in seinem Alltagstrott gefangenzubleiben. Die Leute träumen davon, ihren Job hinzuschmeißen. Und müssen es doch einfach nur tun. Sie träumen davon, sich scheiden zu lassen, und nichts hält sie auf. Sie leben in Käfigen mit offenen Türen.“
Warner interessierte das Grundmotiv weniger als die Handlung. „Sie mochten die Idee einer Abwandlung von 1984. Ich dachte mir nur, ‚Mann, das ist ziemlich dämlich‘, aber ihnen gefiel es. Was wir im Hintergrund andeuten wollten, wollten sie in den Mittelpunkt stellen. Wir haben allen Schauspielern die Haare geschoren, um eine Atmosphäre der Unterdrückung und des Herausgelöstseins anzudeuten. Hätte ich ihnen nur einen Bürstenschnitt verpasst und ihnen die Art grauer Anzüge gegeben, die zur Zeit des Drehs in Mode waren, wäre niemand auch nur ansatzweise so interessiert daran gewesen. Aber ich habe nie offen gesagt, dass diese Gesellschaft die Menschen unterdrückt. Niemand hat Spaß, aber gleichzeitig ist auch niemand unglücklich. Viele Menschen leben schon heute so. Im Film hört man ständig diese ins Gegenteil verkehrten Aussagen: ‚Wir brauchen abweichende Meinungen, aber sie sollten kreativer Art sein.‘ Das ist ein Nixonzitat. All diese Orte sind echt, und die Menschen sind es auch irgendwie. Unsere Gesellschaft ist bis zum Rand mit Drogen vollgestopft, und falls das jemand bezweifeln sollte, sollte er mal mit [Vertretern des Pharma-Riesen] Bristol-Myers sprechen.“
Seine Jugend verbrachte Lucas in Modesto, wo er in einer traditionell protestantischen Republikanerfamilie großgezogen wurde, gegen die er allerdings schon früh rebellierte – wenn auch in Maßen. Sein nächter Film wird sich im Stile einer 50er-Jahre-Rock’n’Roll-Musicalkomödie mit dieser Zeit und diesem Ort befassen. „Damals war die Musik eigentlich völlig albern und alles hatte einen Charme wie Eisenhower. Am wichtigsten waren für uns unsere Autos.“
Lucas‘ Vater, der Betreiber eines kleinen Ladens, hielt nicht viel von Georges Traum, einmal Profi-Rennfahrer zu werden, und war auch nicht davon begeistert, dass sein Sohn sich für eine künstlerische Laufbahn entschied, nachdem er bei einem Autounfall fast ums Leben gekommen wäre.
Nach dem Abschluss seines Studiums an der Filmakademie der Universität von Südkalifornien wäre Lucas beinahe Kameramann geworden, doch gelang es ihm nicht, in die Gewerkschaft aufgenommen zu werden. Später arbeitete er für die Information Agency an einem Film über die Asienreise Präsident Johnsons und entdeckte dabei seine Leidenschaft für den Filmschnitt und seine Assistentin Marcia, eine reizende Brünette mit langen Haaren, zarter Stimme und schüchterner Art, die er später heiratete.
Lucas entdeckte schon bald, dass es ihm gar nicht gefiel, an Filmen über Menschen zu arbeiten, mit denen er nichts anzufangen wusste oder „Dinge zu sagen, an die ich nicht glauben konnte, nur, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Dieser Johnson-Film war schrecklich. Seine politische Einstellung lag mir nicht. Ich habe nichts für staatliche Kontrolle übrig, und Propagandafilme sind einfach geschmacklos.“
Es liegt in der Natur der Dinge, sich ihrer Natur nach zu verhalten, meint Lucas philosophisch. „Wenn man einen Fotografen anstellt, um ein Foto zu machen, will man natürlich gut aussehen. Wenn man einen Film für die Regierung dreht, will die Regierung gut aussehen. Das ist einfach die Hollywood-Philosophie, die sich überall breit macht. Beim Johnson-Film gab es eine Reihe schwachsinniger Vorgaben: Johnsons Frau durfte nicht im Profil gezeigt werden. Sie musste immer mindestens halbfrontal zu sehen sein. Man durfte keine Einstellungen verwenden, auf denen die Glatze des Präsidenten zu sehen war. Ich hatte eine Einstellung von berittenen Polizisten in den Film geschnitten, die in Korea versuchten, die Menschenmassen unter Kontrolle zu halten. Irgendwer meinte, das hätte etwas Faschistisches, was einfach nicht stimmte, und zwang uns, die Bilder wieder zu entfernen. Mir gefiel einfach nur diese Einstellung.“
Als Lucas 1966 für ein Semester an die Uni zurückging, um seinen Abschluss zu machen, stellte er seinen Kurzfilm THX-1138-XEB fertig. („Nein, der Titel bedeutet rein gar nichts.“) Lucas hatte den Film gedreht, als er Kriegsfotografen der US-Marine beibringen sollte, wie man ohne künstliches Licht Aufnahmen macht.
Er gewann für seinen Kurzfilm einen US-weiten Studentenfilmpreis und ein sechsmonatiges Praktikum bei Warner Bros. Dort traf er auf Coppola, der gerade an Der goldene Regenbogen arbeitete. Als Coppola später seine eigene Filmfirma aufbaute, um Liebe niemals einen Fremden zu drehen, bat er Lucas um Hilfe.
Im Dezember 1969 hatte Coppola genug von „Hollywood und all diesem Irrsinn“ und gründete American Zoetrope. Die Firma ist in einem alten Lagerhaus in San Francisco untergebracht, das mit Fotos früher Leinwandhelden gepflastert und mit der neuesten Filmausrüstung vollgestopft ist und wurde mit Coppolas Einnahmen aus Der goldene Regenbogen und einem Exklusivvertrag mit Warner über sieben Filme finanziert. Seither hat Warner, so berichtet Lucas, „vor allem wegen der Debatte um THX die anderen sechs Filme beerdigt, und Zoetrope ist komplett umgebaut worden. Wenn man auf eigene Rechnung arbeiten und nicht gerade eine Bank ausrauben will, muss man einen Weg finden, um irgendwie Geld zu verdienen. Francis kann eine Menge Geld mit dem Drehbuchschreiben und dem Regieführen verdienen, wenn er sich an bestimmte Regeln hält. Es gefällt ihm nicht, aber er hätte nie Liebe niemals einen Fremden drehen können, wenn er nicht zuvor Der goldene Regenbogen gemacht hätte. Jetzt muss er Der Pate machen, um danach Der Dialog drehen zu können.“
Heißt das, Coppola wird es einfach hinnehmen, dass in Der Pate weder von der Mafia, noch von der Cosa Nostra die Rede sein wird?
„Natürlich ist er sauer, weil man letzten Endes eine Menge Emotionen in seine Filme steckt und wahnsinnig wird, wenn sie einem Vorschriften machen. Und sie sagen einem ständig, was man machen soll, ob es dafür Gründe gibt oder nicht. Die Studios wissen, dass Regisseure emotional an ihren Filmen hängen, und dann ist der Teufel los. Mir ist das passiert, Elaine May ist es passiert, es passiert jedem, der im aktuellen Klima Filme dreht. Früher oder später glauben sie, mehr über das Filmemachen zu wissen als die Regisseure. Diese Studiobosse… Man kann nicht gegen sie kämpfen, weil sie das Geld haben. Das ist das schlimme in diesem Land: Der Dollar ist mehr wert als das Individuum. Man kann andere Leute kaufen, egal wie viel Talent sie haben und ihnen danach Vorschriften machen. Es gefällt ihnen nicht, Leuten zu vertrauen.“
American Zoetrope regelt seine Angelegenheiten genau andersherum, berichtet Lucas. „Bei uns heißt es: ‚Wir glauben, dass Du ein talentbegabter, funktionsfähiger Mensch ist, und wir stellen Dich aufgrund Deiner Fähigkeiten ein. Und wir nehmen, was auch immer Du Dir ausdenkst.‘ Wenn wir Fehler machen, dann bei der Auswahl unserer Leute. Was wir wollen, ist die totale Freiheit, die Fähigkeit, unsere Filme selbst zu finanzieren und sie so zu drehen und so zu veröffentlichen, wie wir es wollen. Wir wollen die Freiheit, unsere Meinung völlig frei auszudrücken. In der Geschäftswelt ist das sehr schwer. In diesem Land hat nur das Geld etwas zu sagen, und man muss Geld haben, um die Macht zu haben, frei zu sein. Die Gefahr ist letzten Endes, sich gegenüber den eigenen Mitarbeitern genauso diktatorisch zu verhalten wie alle anderen. Wir werden tun, was immer wir können, um nicht in diese Falle zu tappen. Aber wenn wir versagen, ist auch das nur eine weitere Saga in der Geschichte des menschlichen Seins…“
Seite 1
Seite 1
RSS-Feed für diesen Kommentarthread abonnieren
RSS-Feed für alle Kommentare