Die großen Veranstaltungen der Pressetour zu Andor scheinen vorbeizusein, was nicht weiter überrascht, wenn man sich daran erinnert, dass die Serie eigentlich morgen anlaufen sollte. Um die Vorfreude hochzuhalten, wenden wir uns heute dennoch noch einmal dem Abschlussevent der Pressetour, der großen Pressekonferenz, zu, die Variety zu diesem Bericht inspirierte:
Tony Gilroy wollte wirklich keine Vorgeschichte zu Rogue One drehen. Aber nachdem er dazu beigetragen hatte, Rogue One zu einem Riesenerfolg zu machen, der weltweit knapp über 1 Milliarde Dollar einspielte, wollte Lucasfilm-Präsidentin Kathleen Kennedy unbedingt weitere Star-Wars-Filme mit Gilroy drehen.
„Ich weiß noch, wie Kathy zu mir sagte: ‚Was können wir als nächstes machen?‘ Und ich antwortete: ‚Nun, welche Art von Geschichten willst Du denn erzählen?‘”, erzählt Gilroy. „Und sie sagte: ‚Alles ist möglich.‘ Woraufhin ich sagte: ‚Könntet ihr also zum Beispiel sowas wie Wer den Wind sät produzieren?‘"
Mit anderen Worten: Gilroy hatte kein Interesse daran, eine weitere große Weltraum-Saga zu drehen, also zog er erst einmal weiter. Doch 2018 begann Lucasfilm mit der Entwicklung einer TV-Serie, die vor den Ereignissen von Rogue One spielen und Cassians Leben mit seinem treuen Droiden K-2SO (Alan Tudyk) nachzeichnen sollte. Gilroy war nicht involviert, aber das Studio schickte ihm dennoch das Drehbuch. „Es ging in die Richtung, dass Cassian und K-2 wie Butch und Sundance sind und gemeinsam zum Sturm auf die Zitadelle blasen”, erzählt er. „Das Material war an sich gut”, so Gilroy weiter, „aber die Intensität war sehr schwer über einen längeren Zeitraum durchzuhalten.”
Obwohl er immer noch kein Interesse an dem Job hatte, schrieb Gilroy ein „langes forensisches Manifest” an Lucasfilm, in dem er nicht nur darlegte, warum er dachte, dass dieser Ansatz nicht funktionieren würde, sondern auch, was das Studio seiner Meinung nach stattdessen tun sollte. „Es war so eine verrückte Idee”, erinnert er sich mit einem breiten Grinsen. „Sie war so radikal, so ausgefallen.”
Diese Idee war Andor. Die erste Staffel mit 12 Episoden, die am 21. September auf Disney+ startet, ist in der Tat anders als alles, was in der 45-jährigen Geschichte der Star-Wars-Reihe jemals versucht worden ist. Anstatt Cassians Leben vor Rogue One in ein ausgelassenes Weltraumabenteuer zu verwandeln, nutzt Gilroy - der fünf Episoden geschrieben hat und zudem als Produktionsleiter und Showrunner fungiert - Cassians Geschichte, um in fast schon Dickens'scher Detailverliebtheit das verschlungene Leben alltäglicher Menschen rund um die Gründung der Rebellenallianz zu schildern. Zwar tauchen auch altbekannte Figuren wie Mon Mothma (Genevieve O'Reilly) und Saw Gerrera (Forest Whitaker) auf, doch die überwiegende Mehrheit der mehr als 200 Schauspieler des Ensembles spielt brandneue Figuren, die oft auf Welten leben, die wir noch nie gesehen haben. Vor allem aber folgt Andor nicht geflüchteten Jedi oder den geheimnisvollen Skywalkers, sondern einfachen Fabrikarbeitern und Verwaltungsbeamten, scheinbar unauffälligen Charakteren, die schon seit langem im Hintergrund standen und jetzt erstmals ins Rampenlicht gerückt werden.
„Ich wollte einen Film über echte Menschen machen”, erklärt Gilroy. „Dieses ganze Universum dreht sich bislang im Wesentlichen über eine Art königlicher Familie. Und das war auch großartig. Aber es gibt eine Milliarde, Milliarden, Abermilliarden anderer Wesen in der Galaxis. Es gibt Klempnerinnen und Kosmetiker. Journalistinnen! Wie sieht deren Leben aus? Die Revolution betrifft sie genauso wie alle anderen. Warum nicht den Star-Wars-Kanon als Grundlage für ihre absolut realistischen, leidenschaftlichen und dramatischen Geschichten nutzen?” Und was die anderen Figuren betrifft, die in Staffel 1 auftauchen, so sind sie, so Gilroy, „niemals Fan-Service”.
„Wir sind da niemals zynisch”, fährt er fort. „Alles, was da ist, soll es auch sein. Alles ist Teig, nichts ist nur Zuckerguss.”
Genau dieser bodenständige Ansatz Gilroys war es, der Diego Luna davon überzeugte, wieder in die Rolle des Cassian zu schlüpfen (und zudem als Produktionsleiter mitzuwirken). „Es ist die Ausgestaltung einer Rebellion”, so der Schauspieler. „Es geht nicht darum, dass eine Figur alle rettet. Es geht um die Gemeinschaft.”
Diese breitere Perspektive überraschte Kyle Soller (Poldark), der Syril Karn spielt, einen übereifrigen stellvertretenden Inspektor, der Cassian in die Quere kommt. „Es war völlig anders als das, was ich von Star-WarsStar Wars. Und ich dachte nur: ‚Wow, das ist unglaublich erwachsen, düster und chaotisch‘.” An einer Stelle, so fügt er hinzu, kommt Syril nach Hause „und verbringt Zeit mit seiner Mutter, was so gar nicht Star-Wars-mäßig ist”.
Eine Star-Wars-Serie dieses Ausmaßes zu drehen, so Gilroy, war nur dank der ökonomischen Realitäten des Streaming möglich, die er zu seinem Vorteil nutzte. Anstatt im Volume zu filmen - dem hochmodernen, mit LED-Bildschirmen gefüllten Studio, das bereits in The Mandalorian, The Book of Boba Fett und Obi-Wan Kenobi ausgiebig genutzt worden ist - erforderte das ehrgeizige Storytelling der Serie Dreharbeiten an realen Schauplätzen und weitläufigen, vollständig konstruierten Kulissen in London.
„Ich hatte erwartet, dass ich entweder vor einer grünen Leinwand oder vor einem virtuellen Set sitzen würde”, erzählt Adria Arjona (Morbius), die Cassians Freundin Bix spielt, eine Mechanikerin auf dem Planeten Ferrix. „Stattdessen haben sie eine ganze Stadt gebaut. Ferrix existiert tatsächlich. Ich war dort.”
Als Denise Gough, die die imperiale Sicherheitsagentin Dedra Meero spielt, zum ersten Mal auf dem Ferrix-Set drehte, war sie ähnlich beeindruckt. „Es gab da etwas, das wie eine Sushi-Bar aussah, und ich schaute in eine der Schalen, und da waren tatsächlich blaue Nudeln drin”, erzählt sie. „In der nächsten lag ein Spieß mit irgendwelchen seltsamen Tieren dran. Ich dachte nur: ‚Wow, das wird nie jemand zu Gesicht bekommen. All das ist nur für uns gemacht.‘”
Die Kulissen reichen von palastartigen Häusern über Oberklasse-Bordelle bis hin zu einfachen Wohnblocks, die allesamt dazu beitragen sollen, die Geschichte in einer nachvollziehbaren menschlichen Komplexität zu erden - und auch Zuschauer jenseits der Star-Wars-Anhängerschaft anzusprechen.
„Man sollte in der Lage sein, die Serie zu sehen, ohne sich einen Dreck um Star Wars zu scheren und ohne jemals Star Wars gesehen zu haben”, findet Gilroy. „Die Serie sollte für sich allein funktionieren.” Im gleichen Atemzug fügt er jedoch hinzu: „Die Hoffnung, der Traum ist, dass die wirklich hartgesottene Star-Wars-Gemeinde die Serie auf eine neue Art und Weise annehmen wird - dass sie begeistert sein wird, wenn jemand kommt und völlig unzynisch in ihre Welt eindringt und sie wie eine echte Sache behandelt.”
Lucasfilms erste drei Star-Wars-Serien für Disney+ waren bewusst als Familiensendungen konzipiert, mit einfachen Handlungen und kinderfreundlichen Charakteren - wie so ziemlich jedes andere Star-Wars-Projekt seit George Lucas' erstem Film 1977. Andor jedoch nähert sich seiner Geschichte mit einem Grad an Reife, emotionaler Raffinesse und erzählerischer Komplexität, der diese Serie deutlich von anderen unterscheidet.
„Ich glaube nicht, dass es eine Serie für 9-Jährige ist”, meint Gilroy. Was nicht heißen soll, dass die Serie ihre Star-Wars-Wurzeln nicht verinnerlicht hätte. „Wir stecken in einer Abenteuergeschichte”, betont er. „Es handelt sich um einen Thriller. Und wir erzeugen eine Menge Stoff für diese Welt, und das auf wirklich reichhaltige Art und Weise. Einiges davon ist sehr bodenständig: Produkte und Fernsehsendungen, alle möglichen Dinge. Brandneues Material für Star Wars.”
Und diese „reichhaltige” Arbeit erwies sich als weitaus aufwändiger, als Gilroy das ursprünglich beabsichtigt hatte. „Am Anfang dachte ich mir: ‚Gut, ich entwickle die erste Staffel, bringe sie zum Laufen, und dann kann jemand anderes sie übernehmen und weitermachen‘”, erzählt er. „Aber das war nicht wirklich machbar.” Um die Lebensumstände der Menschen in der Star-Wars-Galaxis umfänglich einzufangen - von den Cornflakes, die sie essen, bis hin zum Schmuck, den sie tragen - musste jedes noch so kleine Detail entworfen, abgesegnet und hergestellt werden.
„Es gab viele Momente, in denen ich dachte: ‚Mann, was habe ich nur mit meinem Leben gemacht?‘” so Gilroy. „‚Warum habe ich das getan? Das kann es einfach nicht wert sein.‘ Das ist ein schwieriges Gespräch, das man mit sich selbst führen muss, wenn man gerade mitten drin steckt.”
Besonders schlimm wurde es, als Gilroy erkannte, dass er sich selbst in ein unlösbares Dilemma gebracht hatte: Andor beginnt fünf Jahre vor den Ereignissen von Rogue One, und Gilroys Plan war es immer, die Serie direkt vor den Ereignissen des Films zu beenden. Doch die Produktion von Staffel 1, die ein Jahr von Cassians Leben umspannt, verschlang etwa zwei Jahre. In dieser Form vier weitere Staffeln zu drehen, schien schlichtweg überwältigend.
„Es war einfach nicht möglich, fünf Jahre dieser Serie zu drehen”, berichtet Gilroy mit einem Stöhnen. „Ich meine, Diego wäre dann etwa 65. Ich wäre in einem Pflegeheim.” Er zieht eine Grimasse. „Wir waren in Panik. Wir können uns ja nicht ewig an ein Projekt binden.”
Dann, so Gilroy, hätten er, Luna und die Produktionsleiterin Sanne Wohlenberg (Tschernobyl) eine „erstaunlich elegante Lösung” gefunden, die sich die Struktur zunutze machte, die sie für die erste Staffel gewählt hatten, in der sich ein einziger Handlungsbogen über jeweils drei Episoden erstreckt, die von demselben Team geschrieben und inszeniert werden. (Aus diesem Grund zeigt Disney+ auch die ersten drei Episoden zusammen.) Im November beginnt die Produktion einer zweiten und gleichzeitig letzten Staffel mit 12 Episoden, und jeder Block mit drei Episoden wird eine bestimmte Anzahl von Tagen in Cassians Leben in je einem Jahr abdecken.
„Wenn wir zurückkommen, ist es ein Jahr später, und es ist ein Freitag, ein Samstag und ein Sonntag. Und dann gehen wir für ein Jahr weg”, sagt Gilroy mit spürbarer Aufregung. „Und dann kommen wir zurück für, ich glaube, acht Tage. Und dann gehen wir für ein Jahr weg. Und wir kommen zurück, und es sind vier Tage.”
Luna fügt hinzu: „Star Wars entwickelt sich in einer Weise, die es diesem Universum erlaubt, verschiedene Ausdrucksformen zu finden. Wir sind nicht Teil einer Saga, die nie zu Ende geht. Unser Ende ist klar. Es ist so klar, wie ein Ende nur sein kann.”
Es wird auch das Ende von Gilroys Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxie markieren. Seine anfänglichen Momente der Verzweiflung haben sich für ihn in ein Gefühl des „Stolzes” auf „diese maßgeschneiderte, enorme Sache, die wir zu machen versuchen” gewandelt - und möglicherweise revolutioniert er dabei die Art und Weise, wie das Publikum über Star Wars denken wird.
Wie eine Figur in der Serie sagt: „Jeder hat seine eigene Rebellion.”
Nur noch drei Wochen, dann beginnt sie endlich, die Rebellion.
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