Der Name Pietro Scalia wird wohl nur wenigen zunächst etwas sagen, doch die Filme, an denen er beteiligt war, kennt wohl jeder: JFK, Die Akte Jane, Good Will Hunting, Gladiator, Kick-Ass oder auch Der Marsianer. Scalia ist Filmeditor (früher auch schlicht Cutter genannt) und hat damit neben dem Regisseur und dem Drehbuchautor den wohl größten Einfluss auf das fertige Produkt, hat er als Verantwortlicher des Filmschnitts doch eine eigene Handschrift, die im fertigen Film sichtbar wird.
Mit Slashfilm hat sich Scalia nun über den Schnitt von Solo, den überraschenden Gastauftritt und die Veränderung einer Szene in den Nachdrehs unterhalten.
Sie haben in der Vergangenheit gesagt, dass Sie eine Szene auf Basis der Kamerabewegungen zusammenstellen. Wie hat die Arbeit von Ron Howard und [Kameramann] Bradford Young Sie beim Schnitt des Films beeinflusst?
Es war toll, einen Star-Wars-Film zu haben, der anders aussieht als andere Star-Wars-Filme. Ich mochte die Richtung, die Bradford hinsichtlich des generellen Looks eingeschlagen hat, die Farbigkeit. Er hatte sehr spezifische Vorstellungen des Farbwandels vom schmuddeligen Aussagen Corellias zu den Bergen und später in den Minen von Kessel: Das Gelb dort und die Grüntöne. Ron hat das meines Erachtens genauso gesehen.
Was Rons Herangehensweise angeht: Ich weiß noch, wie er mir eine der frühen Szenen beschrieb, die die Flucht aus den Minen emotional überlagert. Es ist eine sehr komplexe Actionszene, es gibt viele Bewegungen. Er wollte diese sich bewegenden, fliegenden Kameraeinstellungen, Kameras an Drähten, Handkameras, all das, um das Chaos dieses Moments darzustellen.
Für meinen Teil interpretiere ich nur das Material, das ich bekomme, aber mit dem Dokumentarstil bei Actionaufnahmen bin ich sehr vertraut. Das alles erinnert an Black Hawk Down. Ich mag es, innerhalb des Chaos und all des bewusst gedrehten Materials die Momente oder Details zu finden, die nicht unbedingt gewollt waren, die Dynamik der Kamera oder die Choreographie der Action nachzuverfolgen, die Explosionen, die wie aus dem Nichts stattfinden und die ganze visuelle Stimulation zu nutzen, um Energie in die Szene zu bekommen und und gleichzeitig Spannung aufzubauen.
Ich lasse mich also von dem Material inspirieren, das mir gegeben wird. Es war toll, von der Erfahrung von Ron Howard zu profitieren. Ich kenne und liebe seine Filme. Obwohl wir nie zusammen gearbeitet haben, war er Produzent von zwei Filmen, an denen ich mitgewirkt habe, American Gangster und Robin Hood. Mit einem Meister wie Ron zu arbeiten, war wirklich großartig.
Eine Sequenz, die sich durch besonders viel Chaos und Energie auszeichnet, ist die Zugüberfallsszene, in der besonders viele Figuren und bewegliche Einzelteile vorkommen. Wie lange hat es gedauert, das Tempo und den Rhythmus dieser Sequenz zu finden?
Am Zugüberfall haben wir von allen Sequenzen wohl mit am längsten gearbeitet. Ich bin erst zum Team dazugestoßen, als schon acht Wochen am Film gearbeitet wurde und noch bevor Ron dazukam, also während der Hauptdreharbeiten. Ich musste mich also erst einmal herantasten und einarbeiten, ich wusste ja nicht viel über das Material, das bereits gedreht war. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete der zweite Stab an erstem Material für die Zugsequenz. Das meiste lag nur als Vorvisualisierungsmaterial vor, wir hatten also Animationen und Storyboards, Texteinblendungen, Assistenten, die die Dialoge einsprachen... Das alles war sehr, sehr vorläufig. Ich hörte damals, dass sie schon sechs oder sieben Monate vor den Dreharbeiten angefangen hatten, an Konzepten dafür zu arbeiten.
Und dann kam Chris Rouse, ein Freund von mir, der auch Cutter ist, dazu, der aushelfen sollte und faktisch das Kommando übernahm. Er nahm sich die ursprünglichen Konzepte und die Veränderungen, die mit dem umgeschriebenen Material und Rons Vorstellungen hineingekommen waren, und brachte alles zusammen in Einklang. Die Action änderte sich damit. Und ganz generell fließt einfach viel Zeit in die Storyboards und die Konzepte, bevor es zum Dreh des Zweiten Stabs kommt. Es ist schließlich eine sehr komplexe Sequenz, und wenn man erst einmal im Studio steht, hat man nur wenig Zeit, und alles muss sehr schnell gehen. Dann muss klar sein, was man tatsächlich drehen will.
Wir hatten also mächtig Druck, und ich bin sehr froh, dass Chris Rouse den ersten Durchgang und das Aussortieren erledigt hat. Nachdem Chris weg war, habe ich das Ganze übernommen, den Feinschnitt gemacht und alles umgebaut. Während des gesamten Bearbeitungsprozesses gab es Änderungen, und es war ein wirklich langer Prozess. Die beiden großen Action-Sequenzen, also der Zug und Kessel, brauchten sehr viel Zeit und waren sehr stressig. Was ja auch nicht überrascht, denn das Ganze ist sehr komplex: Es gibt das Previs-Animationsmaterial, die komplexen visuellen Effekte, neue und alte Elemente, die nahtlos zusammenpassen müssen... Und dabei darf man das eigentliche Ziel ja nicht aus den Augen verlieren: Es geht um eine visuell beeindruckende Sequenz mit wichtigen Figuren, und es geht darum, immer wieder zu ihnen zurückzukommen.
Wie alles andere auch braucht man also viel Zeit dafür, schon allein für die Feinabstimmung, die Umarbeitung und den Endschnitt. Man will alles mit hineinpacken, und plötzlich hat man eine 13-Minuten-Sequenz. Das geht einfach nicht, ist zu lang. Und dann ist die Frage: Gut, was schneiden wir raus? Das ist schwierig, denn man arbeitet an vielen Teilen gleichzeitig, dann kommen Drehbuchänderungen ins Spiel, dann arbeiten die Künstler noch an Storyboards, die visuellen Effekte kommen dazu, der Zweite Drehstab, Leute, die endlich Material drehen wollen und die große Frage, um die sich alles dreht, ist: Okay, in welche Richtung gehen wir? Mit dem Schnitt müssen wir oben auf sein und versuchen, so viel Feedback wie möglich zu geben, die Stunt-Einsätze berücksichtigen. Herausfinden, wie die Stunts funktionieren... Es ist wirklich komplex.
Gab es auch eine eher dialogorientierte Szene, die sich sehr stark verändert hat und einiges an Feinabstimmung erforderte?
Eine der entscheidenste Szenen im Film ist das Wiedersehen zwischen Han und Qi'ra, als er sie auf Drydens Schiff wiederfindet. Das ist ein sehr heikler, sehr wichtiger Moment in der Geschichte. Sie haben einander seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen, wie reagieren sie aufeinander?
Diese Szene wurde mehrmals gedreht. Das erste Mal, als Chris und Phil noch da waren und es andere Schauspieler und andere Einstellungen gab. Dann wollte Ron das ändern, und das haben wir gedreht. Es ging nicht so sehr um die darstellerische Leistung, sondern mehr darum, wo wer steht und wie sich die Kamera bewegt, um mehr von der Umgebung und der Party zu zeigen. Und natürlich brachten wir Paul Bettany hier als neue Figur hinein, also änderten sich die Dinge ziemlich und wir drehten es noch einmal. Später nahmen wir uns die Szene ein weiteres Mal für Nachdrehs und Neudrehs vor, um ein paar weitere Dialoge zwischen ihnen zu drehen. Am Ende haben wir Rons erste Version und seine Nachdrehs miteinander verknüpft.
Es ging wieder um die Feinabstimmung der Figuren und des ganzen Films, um den emotionalen Rhythmus. Denn es ist einfach schwierig und nicht nur schwierig, sondern emotional komplex, wie sie aufeinander reagieren und wie sich auf dieser Basis die Geschichte ab dem Moment entwickelt, wo sie sich wiedersehen. All das, was früher zwischen ihnen war, alles, was nicht gesagt worden ist, was passiert ist. Aus dem Blickwinkel von Qi'ra ist es eine sehr schwierige Szene, und auch für Han. Es hat Zeit gebraucht, im Stile eines Chirurgen sehr detailliert damit zu arbeiten, alles Material zu sichten, das wir gedreht hatten, alle Takes, alle darstellerischen Entscheidungen, alle stillen Momente, die subtilen Feinheiten zwischen ihnen, das Zögern, die Blicke... Es hat Zeit gekostet, aber es war eben auch Feinarbeit.
Generell wird mir bewusst, dass der Film zwar zum einen mit riesigen Panoramen und epischen Actionsequenzen daherkommt, aber dass wir andererseits auch jederzeit ins Kleine blenden können, zum emotionalen Zustand der Figuren. Diese Szene ganz speziell findet den genau richtigen emotionalen Nachhall für die Figuren.
Sie haben Phil und Chris erwähnt. Wie war es, sowohl mit all deren Material, als auch mit dem von Ron Howard und dem der Nachdrehs umzugehen? Wie passte alles zusammen?
Das tat es nicht, es war anders. Ich habe nichts gemischt und kombiniert. Sobald Ron dazukam, veränderte sich alles komplett. Über 70 Prozent des Films wurde neu gedreht. Als ich dazukam, musste ich bei Null anfangen. Ich habe nicht auf etwas aufgebaut, das schon da war, obwohl ich einige Wochen mit Chris und Phil gearbeitet hatte. In diesem Moment bin ich aber zurückgegangen und habe neu damit begonnen, Szenen aufzubauen. Nur so konnte ich das ganze Material überhaupt durchdringen, was nicht als Respektlosigkeit gegenüber meinem Vorgänger zu verstehen ist.
Es war einfach so, dass ich das Material kennen musste, um alles aufzubauen, und das heißt, man muss ganz unten ansetzen. Das heißt, man schaut sich die Takes an, die Darsteller, man baut Figuren auf und entdeckt alles für sich selbst. Aber es war nie eine Kombination von Einzelelementen. Es gab einige Sachen, die Ron von Chris und Phil übernommen hat, ganze Szenen, aber das lag daran, dass es logistisch nicht anders ging und er nicht zurück zum Drehort gehen konnte. Aber eine wechselseitige Kontaminierung hat nie stattgefunden.
Ron Howard hat uns erzählt, dass er die Szene neu gedreht hat, in der Darth Maul enthüllt wird. Was hat sich geändert?
Das hatte mit der Überraschung zu tun und dem Dialog zwischen Maul und Qi'ra und der Frage, wie sich seine Präsenz darstellt. Wie wirkt sie sich auf das aus, was Qi'ra tut? Im Original war das etwas... Ich meine, es war okay. Es gab Sachen, die sie ändern wollten, sowohl hinsichtlich der Dialoge – es sollte weniger gesagt werden –, als auch dahingehend, dass Qi'ra mehr Furcht zeigen sollte. In der Hinsicht war es zunächst zu einfach, weil sie ohne Bedenken mit diesem Schurken mitgeht. Ron wollte da wohl darstellerisch etwas mehr Tiefe, einige zusätzliche Ebenen, damit klar ist, dass wir es mit einem Pakt mit dem Teufel zu tun haben. Er hat es neu gedreht, und zwar das Material beider Darsteller, weil es Dialogänderungen gab und er eine komplexere Darstellung wollte.
Sie mögen es, das Thema eines Films auf bestimmte Bilder zu reduzieren. Welche Bilder waren das bei Solo?
Ich bin nicht sicher, ob es so etwas gab. Darüber muss ich ein wenig nachdenken. Für mich war es definitiv nicht so einfach, alles auf ein Thema zu verdichten. Ich denke, das einzige Grundprinzip, das mir immer am Herzen lag, war der Kern der Geschichte. Für mich geht es im Kern um die Freundschaft zwischen Han Solo und Chewie. Das war dieses Hauptgefühl, an das ich mich aus den alten Filmen erinnert habe: Es geht nicht um all die Leute, die er trifft oder darum, wie er immer mehr zu diesem lebensfeindlichen Zyniker wird, den wir von früher kennen, sondern um diese Freundschaft. Die wollte ich so emotional und wahrhaftig darstellen wie möglich. Das war das Herz, um das es ging, und das wollte ich richtig machen. Als ich Joonas Suotamo traf, der Chewbacca spielt, sagte ich ihm scherzhaft: Wenn Du Zweifel hast, schneide zu Chewie. [lacht]
Das ist eine gute Faustregel.
Ich sage nur, man kann damit nichts falsch machen. Alle lieben Chewie. Er fand das auch lustig. Wenn Du nicht weißt, wohin Du schneiden solltst, schneide zu Chewie.
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Dass Scalia auch für den Schnitt von JFK verantwortlich war, beeindruckt mich sehr und spricht für ihn. Der Schnitt dieses Films ist mir als wahrlich einzigartig in Erinnerung geblieben, zumal dort originales Archivmaterial, Erinnerungen in Schwarz-Weiß und Gegenwartsbezug in Farbe auf sehr raffinierte Weise miteinander kombiniert wurden, wodurch historische Authentizität und filmische Fiktion vortrefflich gegenübergestellt wurden und stellenweise fast zur Deckung kamen. Chapeau vor so einer Meisterleistung!
(zuletzt geändert am 07.06.2018 um 13:42 Uhr)
DerAlteBen
mkda
@General Hux
Ja, vor Scalia habe ich auch großen Respekt. Er gehört zu den Besten seines Fachs. Da hat LF wirklich den Richtigen engagiert. Ich wusste bisher gar nicht, dass Scalia SOLO geschnitten hat. Aber wenn ich näher darüber nachdenke, fällt mir jetzt sein Stil ein, der sich in SOLO widerspiegelt. Ich musste ein- zweimal während SOLO irgendwie an 'Prometheus - Dunkle Zeichen' denken. Jetzt weiß ich, warum. Echt großartig.
(zuletzt geändert am 07.06.2018 um 19:32 Uhr)
StarWarsMan
Wenn ich mir das Casting von Anthony Ingruber anschaue,dann denke ich mir: Warum eigentlich nicht? Denn was wollen wir denn wirklich? Am liebsten wäre es uns doch gewesen, wenn Harrison Ford höchstpersönlich seine alte Rolle wieder gespielt hätte. Solo ist Ford, Ford ist Solo.
Nun ist der gute Mann ja leider schon in die Jahre gekommen.
Erste Alternative: Verjüngung durch CGI. Kann man machen, aber dazu müsste der Schauspieler zumindest noch einigermaßen fit in der Bewegung sein, wenn man Action Szenen nicht ganz digitalisieren will.
Zweite Alternative: CGI a la Peter Cushing / Tarking. Mich hat dazu das Ergebnis sehr überzeugt, einige waren dagegen sehr enttäuscht. Nun ist es auch sicher was anderes, wenn man eine Figur einen kompletten Film durch sieht.
Dritte Alternative: Einen Schauspieler finden, der möglichst dicht an den alten Schauspieler heran kommt. Und das ohne Neuinterpretation der Figur. Denn hier geht es nicht um eine Neuverfilmung. Dann hätte man Han Solo auch von einer alten schwarzen Frau spielen lassen können. Aber SOLO soll ja eine Ergänzung zu den bekannten Filmen sein. Damit ist Ford Ausschlag gebend. Und tatsächlich wäre dann ein Schauspieler, der seine Gestik und Mimik treffsicher nachahmt, die richtige Wahl Und da wäre Anthony Ingruber passender gewesen.
Xmode
@xmode
Das Problem einiger. Dass sie Ford als Han Solo nur sehen.
Wie würde dann Han Solo den aussehen wenn wir ihn nur aus den Büchern her kennen würden und wir in unserer Vorstellung den eigenen Look verpassen?
Fakt ist,dass man einen Han Solo wollte,der noch nichts mit dem OT Han am Hut hat. Man sah die bekannten Gesten in Ehrenreichs Spiel.Und sein Grinsen welches man aus der OT und ST kannte,war auch vorhanden. Ich sah Han Solo mit Ehrenreich. Nicht Ford. Naja...
(zuletzt geändert am 08.06.2018 um 16:54 Uhr)
RenKn1ght
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