Quelle, 2. Juni 1999
Als die Zuschauer 1977 in dunklen Kinosälen überall in Nordamerika saßen, um sich erstmals Krieg der Sterne anzusehen, tauchten 10 Worte in großen, blauen Buchstaben vor ihnen auf - die erste Einstellung des Films. Es gibt viele Methoden, die Tür zu einem Film zu öffnen und die Kinobesucher hereinzubitten: Einführende Worte eines Erzählers, eine lange Aufnahme einer Landschaft, die sowohl den Schauplatz vorstellt, als auch die Atmosphäre der zu erwartenden Geschichte einfängt, oder auch zwei Figuren, die miteinander reden und dabei ihre Persönlichkeit und ihre Beziehung zueinander zeigen können. Für Krieg der Sterne hatte sich George Lucas entschieden, einen Text zu verwenden. Erst einige Titel, dann ein paar kurze Absätze, die in den Sternen im Bildhintergrund verschwinden sollten. Lucas empfand, dass ein Medium, welches seit der Erfindung des Tonfilms in Filmen kaum noch verwendet wurde, die beste Methode war, die Zuschauer zu fesseln und mit seiner Geschichte gleich zur Sache zu kommen, anstatt sich mit der üblicherweise langen Einleitung eines normalen Films aufzuhalten.
Lucas' Technik funktionierte hervorragend und zog das Publikum mitten ins Geschehen. Bei seinen beiden folgenden Krieg der Sterne-Filmen, Das Imperium schlägt zurück und Die Rückkehr der Jedi-Ritter, wandte er sie wieder an. Jedesmal änderte sich einzig der Text, alle anderen Details blieben gleich, als ob der Zuschauer ein Buch durchblätterte, um ein Kapitel nach dem anderen einer fortlaufenden Handlung zu lesen.
Durch diese Konstante erhielt die Saga Kontinuität, und daran hat sich auch sechzehn Jahre nach dem Ende der Klassischen Trilogie nichts geändert. Während der Nachbearbeitung von Episode I, des jüngsten Kapitels der Geschichte, war es die Aufgabe von John Knoll, des Leitenden Verantwortlichen für die Visuellen Effekte, dafür zu sorgen, dass der traditionelle Lauftext exakt aussah wie in den früheren Filmen. Einmal mehr sollten diese Worte das Erste sein, das eine neue Publikumsgeneration am 19. Mai 1999 von der neuen Episode des Kriegs der Sterne sehen sollte, und selbstverständlich sollte der Anfang des ersten Kapitels genauso aussehen wie die anderen des großen Märchenbuchs.
"Bei der klassischen Trilogie", erklärt Knoll, "wurde ein hochkontrastiver Film mit dem Text flach auf ein langes Leuchtpult - also einen durchsichtigen Tisch, der von unten angeleuchtet wurde - gelegt. Die Kamera lief auf Gleisen an diesem Pult vorbei, wobei sie per Computer gesteuert wurde, um eine gleichbleibende Geschwindigkeit zu garantieren. Wir nennen so etwas eine 'Motion-Control-Kamera'. Um die Illusion zu erzeugen, dass der Text am Horizont verschwand, neigten die Spezialeffektjungs die Kamera leicht und ließen sie dann auf den Gleisen entlangfahren. Danach wurde mit optischen Mitteln noch ein Sternenhimmel dahintergelegt, und fertig war das Material." Diese äußerst effektive Methode wurde bei allen drei klassischen Filmen eingesetzt.
Da die digitale Technik viele der traditionellen Effekttechniken ersetzt hat, hatten Knoll und seine Mitarbeiter viel Spielraum bei der Vorbereitung des Lauftexts für Episode I. Doch bevor Knoll mit Computern den Anfang des neuen Krieg der Sterne-Films erstellen konnte, galt es zunächst, die vielen Details der klassischen Lauftexte genau nachzuempfinden. Denn auch wenn die Technik absolut nichts mit ihrem Vorläufer zu tun hat, muss das Ergebnis den Vorbildern der klassischen Trilogie exakt entsprechen.
"Das Problem war, dass damals niemand genaue Aufzeichnungen gemacht hat.", erklärt Knoll. "Deshalb mussten wir fast jedes Element nach Augenmaß abstimmen." Zunächst löste Knoll das Rätsel um die Schriftart. "Wir wussten, dass drei verschiedene Schriftarten verwendet worden waren", enthüllt er, "und zwar die gleichen drei für die ganze klassische Trilogie. Eine Schriftart für das 'Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis...', eine weitere für den Filmtitel am Anfang des Lauftexts, und die dritte für den Lauftext selbst. Aber diese Schriftarten mussten wir erst einmal finden." Dazu schickte Knoll Bilder der alten Lauftexte an die Künstlerische Abteilung von Industrial Light & Magic, wo Typografieexperten begannen, ihre Handbücher zu durchkämmen. Die Schuldigen waren bald gefunden.
"Aber das ist nur eines von vielen Rätseln.", fährt Knoll fort. "Der nächste Schritt war, herauszufinden, welche Art von Linse sie verwendet hatten." Denn verschiedene Linsen ergeben verschiedene Ergebnisse. "Da hatte ich großes Glück.", erzählt Knoll weiter. "Ich habe Peter Daulton ausfindig gemacht, der als Kameraassistent an Die Rückkehr der Jedi-Ritter gearbeitet hatte. Er meinte, es müsste wohl eine 24mm-Linse gewesen sein, und tatsächlich, meine 24mm-Computerlinse passte zu den Einstellungen der klassischen Lauftexte."
Nun galt es, die Geschwindigkeit des Lauftexts genau festzuhalten. "Dafür habe ich mir die alten Lauftexte angesehen", erklärt Knoll, "und dann die Einzelbilder zwischen dem Moment, wenn eine Zeile unten ins Bild kommt und dem Moment, in dem die nächste Zeile dort auftaucht gezählt." Damit wusste Knoll genau, wie schnell der Eröffnungstext in Episode I sein musste.
Zwei entscheidende Faktoren musste Knoll nun noch per Augenmaß bestimmen, zunächst einmal die Farbe. "Wir haben mehrere Farbbeispiele nebeneinander gelegt und sie dann mit den alten Lauftexten verglichen.", fährt Knoll fort. "Wir mussten genau den richtigen Farbton aus der klassischen Trilogie finden." Damit blieb eine letzte Variable, der Neigungswinkel, der mit einer ähnlich altmodischen Technik ermittelt wurde. "Ich habe ein Einzelbild aus dem Lauftext für Krieg der Sterne eingelesen und es dann als Hintergrundbild gesetzt. Danach musste ich nur noch die Kamera neigen, bis die Perspektive stimmte.", erklärt Knoll stolz.
Nachdem nun alle Grundelemente entschlüsselt waren, stand Knoll und seinen Mitarbeitern trotzdem noch harte Arbeit bevor. Denn es galt nicht einfach, den Computer mit Daten zu füttern. Ein hinterleuchteter Text, der mit einer traditionellen Kamera gefilmt wird, erzeugt einen sehr natürlichen Effekt, während sich virtuelle Objekte, die nur im Elektronengehirn eines Computers existieren, ganz anders verhalten. "Wir mussten dreidimensionale Modelle der Buchstaben erstellen", erklärt Knoll, "damit sie ganz nah genauso scharf aussehen wie in der Ferne und dann auch mit der richtigen 3D-Perspektive am Horizont verschwinden können."
Als das erledigt war, blieb nur noch ein letzter Pinselstrich. "Das Sternenmeer war recht einfach zu realisieren.", erzählt Knoll. "Wir benutzen dafür unseren Sternenfeldgenerator. Ich habe mir eine Einstellung aus Das Imperium schlägt zurück gesucht, in der ich fand, dass die Sterne besonders gut aussahen und dies als Vorlage verwendet." Auf diese Weise war sichergestellt, dass alles ideal aussah: Die Distanz zwischen zwei Lichtpunkten, die relative Helligkeit der Sterne, und so weiter. "Ein per Zufallsgenerator erstelltes Sternenmeer sieht nie hundertprozentig richtig aus.", findet Knoll. So konnte von diesem Zeitpunkt an mit Knolls Vorlage ein Sternenmeer generiert werden, wann immer dies nötig war.
Es ist keine Seltenheit, dass Effekteinstellungen, die nur wenige Sekunden zu sehen sein werden, eine Menge Arbeit machen. Doch für einen Effekt, dessen Übergang ins digitale Zeitalter so offensichtlich scheint, ist die Anzahl der nötigen Schritte überraschend. "Egal, wie sehr sich die Instrumente des Filmemachens technisch auch weiterentwickelt haben, sie bleiben immer noch Werkzeuge.", meint Produzent Rick McCallum. "Und Werkzeuge brauchen immer Künstler, die mit ihnen umgehen können und deren kreative Visionen ihnen den Weg weisen. Für uns gibt es kein besseres Beispiel für einen solchen Künstler als John Knoll. Egal, vor welches Problem wir ihn auch stellen, er findet immer eine Lösung, die nicht nur den technischen Anforderungen oder Einschränkungen des Projekts genügt, sondern auch innerhalb der Gesamtgeschichte Sinn ergibt. Gib John eine unmögliche Aufgabe, und er wird sie erfüllen."