Quelle, Mai 1999
"Ich will, dass der Typ rechts stärker reagiert.", sagt George Lucas und deutet auf einen großen, dünnen Gunganerkrieger auf einem Kaadu. Neue Torbögen am Wall eines Schlosses will er, weitere Mechanikerdroiden an einer anderen Stelle, die Vegetation auf einem von Naboos Plätzen will er neu angeordnet haben, und das Kostüm des zweiköpfen Podrennkommentators soll geändert werden. Ein ganz normaler Tag in der Nachproduktion des neuen Kriegs der Sterne.
Der Mann hinter dem Mythos sitzt wieder hinter dem Steuer und nutzt die ganze Macht von ILMs neuer Generation: Das nonlineare 3-D-Filmemachen, das er bei der Produktion der Fernsehserie Die Abenteuer des jungen Indiana Jones erfand, die revolutionären Computerbilder und Gesichtsanimationssysteme, die für Jurassic Park und Dragonheart entwickelt wurden, die Steuerungssoftware, mit der ganze Brigaden fotorealistischer Figuren auf einmal verändert werden können, beispielsweise die Droidenarmee in der Bodenschlacht von Die Dunkle Bedrohung. Und von den übergangslosen Ausschneide-und-Einfüge-Tricks, die er mit Realmaterial anstellen kann, wollen wir gar nicht anfangen.
Nach zwei Jahrzehnten wachsender Erwartungen, zwei Jahren Vorbereitung, zwei Jahren Nachproduktion, 65 traditionellen Drehtagen und etwa 2000 digital veränderten Einstellungen, ist Krieg der Sterne - Episode I: Die Dunkle Bedrohung ein Platz in den Geschichtsbüchern sicher. Und Lucas klingt, als sei das erst der Anfang.
Herr Lucas, wie war es, nach 20 Jahren wieder Regie zu führen?
Es war unglaublicher, als ich es mir je erträumt hatte, wie die Erfindung des Ton- oder Farbfilms. Ich weiß nicht, wie die nächste Revolution aussehen wird und mich interessiert es auch nicht. Aber jetzt habe ich endlich die Freiheit, die Geschichten zu erzählen, die ich erzählen will.
Totaler kreativer Freiraum also?
Nun, früher hatte man ein paar Optionen - hier ein Schnitt, da ein Schnitt. Jetzt verlangt diese unendliche Freiheit weit mehr Disziplin. Aber wenn man sich erstmal auskennt, verschwendet man keine Zeit mehr mit unnötigen Spielereien. Man weiß, was man will und holt es sich.
Wieviel von diesem Film ist im Computer entstanden?
95 Prozent. Es gibt nur 200 Einstellungen, die wir nicht digital verändert haben, und auch die mussten wir in den Computer einspeisen, um eine komplett digitale Mastervorlage zu erstellen.
Sie haben vor 10 Jahren erklärt, sie wollten binnen eines Jahrzehnts einen komplett digitalen Film ohne Zelluloid drehen.
Nun, wir haben auf Zelluloid gedreht - aber eben nicht nur. Im Film ist komplett digital gedrehtes Material zu sehen, und ich denke nicht, dass irgendwer den Unterschied bemerken wird. Beim nächsten Film, drehen wir alles digital, wir schneiden ihn digital, und hoffentlich können wir ihn auch digital in einige Kinos bringen. Dann ist überhaupt kein Filmmaterial mehr nötig.
Drehen Sie zur Sicherheit zusätzlich mit Zelluloid?
Nein, das werden wir nicht machen.
Sie sagten einmal, wenn Sie einen Wunsch frei hätten, wäre das eine "unendliche Bandbreite". Haben Sie die inzwischen?
Je mehr man hat, desto mehr will man. Wir arbeiten seit sieben oder acht Jahren mit Avid zusammen, seit wir EditDroid [die revolutionäre, nonlineare Schneidesoftware, die Lucasfilm in den 80er Jahren erfand und die bis heute gerade im Fernsehbereich tonangebend ist, Anm. d. Übers.] an sie verkauft haben. Sie meinten, "Wieviel Speicherkapazität braucht ihr? Wir können im Moment etwa 6500 Meter Film speichern und arbeiten daran, auf über 30.000 Meter aufzustocken." Und wir sagten, "Wir können jetzt schon über 150.000 Meter speichern. Wir brauchen aber 300.000." Inzwischen können wir 400.000 Meter unterbringen. Wir arbeiten weiter mit ihnen an einem besseren Zugriffssystem und versuchen, die Ton- und Bildsysteme miteinander kompatibel zu machen. Unser Wunschzettel wird also immer länger.
Die Dunkle Bedrohung ist ein wahres Epos geworden, sowohl hinter den Kulissen, als auch auf der Leinwand.
Der Film ist wirklich ziemlich groß. In den 60ern wurde das Filmemachen zu teuer, um riesige Kulissen und Massenszenen zu drehen. Also hörten sie auf Filme wie Vom Winde verweht und Lawrence von Arabien zu machen. Die Leute meinten, "wir können keine großen Filme mehr machen, es ist zu teuer". Aber Dank der digitalen Technik, beginnt sich die Gleichung von Teuer und Episch aufzulösen. Mit der digitalen Technik wird es möglich, mit den verfügbaren Ressourcen größere Szenarien zu verwirklichen. Meine früheren Filme wurden als Epen bezeichnet, aber sie waren eigentlich recht kleine Filme, die nur auf Episch getrimmt waren. Bei meiner Fernsehserie - Die Abenteuer des jungen Indiana Jones - haben wir versucht, Kinofilme für weniger als 4 Millionen Dollar zu produzieren, inklusive großer Massenszenen, zeittypischer Straßensequenzen, Schlachtpanoramen und ähnlichen wahrhaft epischen Elementen.
Welche Einstellung in Die Dunkle Bedrohung war am teuersten?
Ich will es mal so sagen: Die Spezialeffekte von Titanic haben etwa 50 Millionen Dollar gekostet, und es gab etwa 500 Einstellungen. Bei Starship Troopers sah es ähnlich aus, 500 Einstellungen, 50 Millionen. In Episode I gibt es fast 2000 Einstellungen, und wir geben dafür etwa 60 Millionen Dollar aus. Rechnen Sie es sich aus.
Ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeit hat sich also ausgezahlt.
Die Durchlaufrate ist inzwischen sehr sehr hoch, und wir haben Dutzende Programme entwickelt. Ein sehr ausgeklügeltes Echtzeit-Gesichtsanimationssystem, viele Motion-Capture-Programme, die uns ebenfalls ermöglichen, in Echtzeit zu arbeiten, Software, um Stoffe realistisch zu simulieren, und natürlich auch Sachen wie Haut und Haare, die wir schon vor Episode I hatten. Alles ist darauf konzentriert, den Prozess schneller und effizienter zu gestalten.
Was gut ist, denn schon jetzt arbeiten Sie ja bis zur letzten Minute.
Wir stellen mehr als 50 Einstellungen pro Woche fertig, sehr komplexe Einstellungen, die weit komplizierter zu realisieren sind als alles, was es bisher in Filmen zu sehen gab. Wir könnten noch bessere Ergebnisse erzielen, wenn wir doppelt soviel ausgeben würden, aber ich versuche ja gerade, gute Ergebnisse für vergleichsweise wenig Geld zu bekommen. Beim nächsten Film werden wir besser werden, und beim dritten noch etwas besser. So haben wir das auch schon bei den ursprünglichen Krieg der Sterne-Filmen gemacht.
Und Sie arbeiten immer noch an der Special Edition. Werden wir eines Tages erleben, dass sich die Filme von Vorführung zu Vorführung verändern?
Nein, aber mit dieser ganzen Technik können Filmemacher ihre Filme kontrollieren, und damit haben sie auch die Möglichkeit, sie zu verbessern. Man bringt eine Kinofassung raus, und dann verbessert man sie für die Videoversion.
Was passiert, wenn es Konflikte zwischen Ihrer Vision und den Visionen der anderen am Film beteiligten Künstler gibt?
Jeder Mitarbeiter ist unter der Prämisse mit dabei, die Vision des Regisseurs umzusetzen - so werden Filme gemacht, früher wie heute. Die eigentliche Frage ist, ob ein Unternehmen, das den Film in 10 Jahren kauft das Recht hat, ihn zu ändern, und meine Antwort ist und bleibt: Nein.
Ist es schwer, das heutige Publikum, das sich an Filme wie Starship Troopers gewöhnt hat, noch zu beeindrucken?
Es ist nicht meine Aufgabe jemanden zu beeindrucken, meine Aufgabe ist es eine Geschichte zu erzählen.
Ihre neueste Geschichte scheint ernsthafter zu sein - eine ambivalente Chronik von Anakins Abgleiten hin zur Dunklen Seite der Macht. Sind Sie jemals von der Dunklen Seite in Versuchung geführt worden?
Jeder hat seine Dunkle Seite, deshalb müssen wir uns ständig bemühen das Richtige zu tun. Die Gute Seite kommt in Mitgefühl und der Sorge um andere Menschen zum Ausdruck, die Dunkle Seite in Gier und Egoismus.
Was halten Sie von der Rebellenallianz inoffizieller Webseiten?
Das Internet weiß noch nicht so recht, wie es sich in der Öffentlichkeit zu verhalten hat. Es ist faszinierend das zu beobachten, wie ein kleines Dorf, in dem jeder versucht, Regeln aufzustellen, nach denen er leben kann, um die gemeinsame Existenz aufrechtzuerhalten und sich nicht selbst zu zerstören.
Kompliziert wird es in Zukunft werden, in Punkto Urheberrecht und geistiges Eigentum. Es wird interessant zu sehen, wie und ob die Software-, Musik- und Filmproduzenten diesen Angriff überstehen werden. Glücklicherweise denke ich, dass es das Filmgeschäft erst ganz zum Schluss erwischen wird.
Wie sieht also Ihre Internetstrategie aus?
Wir haben schon ewig mit dem Web zu tun, aber wir haben uns dort lange bewusst zurückgehalten. Ich bin häufig zu früh auf neue Technologien aufgesprungen, und das bringt einfach keine Vorteile. Man brennt aus, bevor der Markt sich gefestigt hat, und das nur um sagen zu können, "Ich war Erster!". Aber da die Verwirklichung von Episode I ein so großes Ereignis war, haben wir angefangen, aus der Webseite Nutzen zu schlagen. Aber es ist nicht nur eine Werbeseite für die Filme, sondern ein potentielles Tochterunternehmen wie Lucas Learning und LucasArts, und entsprechend wird die Webseite auch wie eine Firma gemanaget. Wir haben einen Webstore und weitere Pläne, ein erfolgreiches Unternehmen daraus zu machen.
Krieg der Sterne wird sicherlich viel Aufmerksam auf sich ziehen, aber können Sie darüber hinaus wirklich wachsen?
Krieg der Sterne ist unsere Basis, und wir haben jetzt noch zwischen 6 und 10 Jahren solide - und vermutlich steigende - Zugriffszahlen vor uns, mit denen wir kalkulieren können. Wenn die Bandbreite und die Geschwindigkeit erst einmal groß genug sind, werden wir zusehen, dass wir die Seite zu einem Vertriebsmechanismus für unsere eher softwareartigen Produkte machen, also Spiele, Filme und Musik. Wir haben gerade erst die Zehen ins Wasser gesteckt und warten noch darauf, dass die Technik zu uns aufholt. Wir wollen nicht zu früh zu große Schritte wagen.
Voraussagen gehen davon aus, dass Die Dunkle Bedrohung mehr Geld einspielen wird als Titanic und die praktisch tote Spielzeugindustrie wieder zum Leben erweckt. Es ist praktisch sicher, dass Sie am Startwochenende 100 Millionen Dollar verdienen werden.
Mit solchen Erfolgsmeldungen habe ich mich nie besonders beschäftigt. Ich hoffe, dass der Film genug einspielt, um den nächsten zu machen. Aber ich bewerte meine Filme nicht auf der Basis öffentlicher Anerkennung. Mir ist nur wichtig, dass ich den Prozess genieße und ich auf die Ergebnisse stolz bin.
Das Leben führt einen eben auf gewisse Pfade. Wenn ein Spielzeugunternehmen bei mir anklopft und sagt, sie wollen Spielzeug produzieren, und dann wird dieses Spielzeug unglaublich erfolgreich, soll ich da Nein sagen? "Nein, ich vertraue Euch meine Schätze nicht an?" Wenn sich mir solche Gelegenheiten bieten, ergreife ich sie beim Schopfe, aber das heißt nicht, dass ich mich darauf konzentriere. Ich habe mir meine Freiheit erkauft, indem ich der geschäftlichen Seite meine Aufmerksamkeit gewidmet habe. Wäre ich einfach nur ein Regisseur ohne die finanzielle Sicherheit, meine eigenen Filme machen zu können, würde ich heute bei Emergency Room arbeiten. Die Geschichten eines Anderen zu erzählen, interessiert mich nicht.
Sie haben Ihr Schicksal in einem Maße in der Hand, von dem andere Filmemacher nur träumen können. Das ist lustig, denn auch wenn Sie Hollywood geographisch verlassen haben...
Ich war geographisch nie in Hollywood.
Okay, aber Sie sind auf die Universität von Südkalifornien in Los Angeles gegangen.
Die liegt in der Innenstadt, das ist ziemlich weit von Hollywood weg. Und als ich zur Uni ging, war es ausgeschlossen, dass ein Filmstudent jemals im Filmgeschäft arbeitet. Deshalb sind viele von uns weggegangen. Wir sagten uns, wenn wir nicht in Hollywood arbeiten können, ziehen wir halt in San Francisco unsere eigene Produktionsfirma auf.
Wer tritt in Ihre Fußstapfen? Wer übernimmt die Fackel?
Es gibt eine große Gruppe junger Filmemacher, die alle in unserem Unternehmen gearbeitet haben und jetzt ihre eigenen Filme als Regisseure, Produzenten und Autoren machen. Und dann gibt es unzählige Leute, die mich ansprechen und sagen, ich sei der Grund, wieso sie überhaupt im Filmgeschäft arbeiten. Immer, wenn man solche Sachen macht wie ich - beliebte Filme also, während man gleichzeitig ein großes Unternehmen leitet - hat man viele Gehilfen und eine Menge anderer Leute um sich, die man beeinflusst, entweder indem sie selbst beim Film anfangen oder sich die Lektionen der Filme im täglichen Leben zu Herzen nehmen. An Episode I haben 2000 Menschen gearbeitet, und ich würde sagen, etwa 200 davon haben ich und mein Produzent Rick McCallum persönlich ausgewählt.
Können Sie sich vorstellen, einem Anderen den Krieg der Sterne anzuvertrauen?
Nein. Selbst an Episode 5 und 6, bei denen ich nicht selbst Regie geführt habe, war ich beteiligt - faktisch als Mitregisseur. Krieg der Sterne ist meine Sache.
Sie werden also persönlich Episode 2 drehen?
Das ist unausweichlich.
Wie steht es um die Berichte, dass Episode 7, 8 und 9 - die als Romane vorliegen - es nie auf die große Leinwand schaffen werden?
Die Fortsetzungen sollten nie wirklich gedreht werden, anders als bei 1, 2 und 3, deren Geschichte seit 20 Jahren existiert. Die Sache mit 7, 8 und 9 kam dadurch zustande, dass mich Leute nach Fortsetzungen gefragt haben, und ich sagte, "Ich weiß es nicht. Vielleicht irgendwann einmal". Dann kamen meine Lizenznehmer und fragten, "Können wir Romane schreiben?", und ich sagte ihnen, sie sollten Fortsetzungen machen, weil ich die vermutlich nie machen werde.
Das ist also ein endgültiges "Nein", oder doch eher ein "Vielleicht, vielleicht auch nicht"?
Wenn ich nach Episode 3 ein paar Jahre Pause machte, wäre ich 75, wenn ich mit den Fortsetzungen fertig wäre. Ich will nicht für den Rest meines Lebens Krieg der Sterne machen, es gibt andere Filme, die ich noch drehen will.
Herr Lucas, wir danken für dieses Gespräch.