Quelle, 13. Januar 1999
Bei der Arbeit an Krieg der Sterne: Episode I sah sich Szenenbildner Gavin Bocquet der ungewöhnlichen Herausforderung gegenüber, Ideen und Konzeptzeichnungen in dreidimensionale Kulissen verwandeln zu müssen. Doch auch die Größe und Komplexität von Episode I, mit ihren vielen außerirdischen Schauplätzen, stellten Bocquet und seine Mitarbeiter vor einige außergewöhnliche Aufgaben. Viele der Schauplätze von Episode I mussten im Studio als Kulissen realisiert werden, da sich auf der Erde nichts Vergleichbares findet. Diese fremden Welten für die Kamera zum Leben zu erwecken, war Bocquets Aufgabe.
"Allgemein besteht meine Rolle darin, die real angefertigten Hintergründe zu bauen, die man hinter den Schauspielern sieht, egal ob es sich nun um Studioszenen handelt, oder ob wir draußen an einem Drehort sind. Desweiteren zählen Requisiten und die Kulissendekoration zu meinen Aufgaben, wir kümmern uns also kurz gesagt um alle unbelebten Objekte.", erklärt Bocquet. Insgesamt haben er und seine Gestalter und Handwerker etwa 55 Kulissen gebaut. "40 davon haben wir in den Leavesden-Studios errichtet, die Übrigen an den Drehorten.", fügt er hinzu.
Bocquet hat selbst einige dieser Kulissen entworfen, bei anderen mit dem Künstlerischen Leiter Doug Chiang zusammengearbeitet, und bei manchden war Bocquet dafür verantwortlich, Konzepte von Chiang und seiner Künstlerischen Abteilung zum Leben zu erwecken. Außerdem war Bocquet für die Suche nach den Drehorten für Tatooine und Naboo zuständig, zwei Welten, die in Tunesien und Italien Wirklichkeit wurden.
Dabei erhielt der Szenenbildner viel Unterstützung von George Lucas und Produzent Rick McCallum. "George hatte jahrelang über dieses Projekt nachgedacht und mit den Konzeptzeichnern bereits mehrere Monate lang zusammengearbeitet, bevor ich dazu kam. Genau wie bei den meisten Filmen, war es unsere Aufgabe, die Vorstellungen des Regisseurs zu interpretieren und ihnen irgendeine visuelle Form zu geben.", erzählt Bocquet.
Mit Lucas und McCallum war Bocquet bereits gut bekannt, nachdem er als Szenenbildner an den Abenteuern des jungen Indiana Jones mitgewirkt hatte. Für seine Arbeit wurde er mit dem Emmy ausgezeichnet. Außerdem war er bereits an der klassischen Krieg der Sterne-Trilogie beteiligt. Bei Die Rückkehr der Jedi-Ritter arbeitete er als Konzeptzeichner in der Künstlerischen Abteilung. Danach wirkte er an Filmen wie Radioland Murders - Wahnsinn auf Sendung und Kafka im Szenenbild mit.
Bei manchen Filmprojekten unterscheidet sich das Aussehen der fertigen Kulissen dramatisch von den Konzepten der Künstlerischen Abteilung, zumeist aus Zeit- und Kostengründen, oder weil sich ein Konzept als wenig praktikabel erweist. Bei Episode I änderten sich in der Bauphase hingegen nur Kleinigkeiten. "Die Entwicklung jedes Schauplatzes war ein organischer Prozess.", erklärt Bocquet. "Mit ersten Skizzen und einfachen Modellen ging es los, dann kamen Referenzfotos oder Bilder der Drehorte hinzu, und in einem kreativen Gedankenaustausch sind wir so schließlich zu sehr viel klareren Vorstellungen gelangt."
Eine Herausforderung bestand darin, bereits im Vorfeld festzulegen, wieviel von einer Kulisse tatsächlich gebaut werden sollte, und wieviel digital von Industrial Light & Magic beigesteuert werden würde. "Da wir einen Teil des Films produzierten, bevor die digitale Arbeit beginnt, mussten wir uns genau überlegen, was wir bauen sollten, und was ILM zu leisten imstande war.", erzählt Bocquet.
Ein weiterer ungewöhnlicher Aspekt der Arbeit an den Kulissen von Episode I war der, dass viele Sets nach den Hauptdreharbeiten stehen bleiben konnten, da Lucasfilm die Leavesden-Studios für eine längere Zeit gemietet hat. "Normalerweise wird erwartet, dass die Studios ihre Kulissen sofort wegräumen, damit der nächste Film hereinkommen und wiederum Miete zahlen kann.", erklärt Bocquet. "Bei Lucasfilm haben wir den großen Vorteil, dass das Studio für längere Zeit angemietet worden ist. Damit konnten wir unsere Kulissen stehenlassen, um später zurückzukommen und, wenn nötig, neu geschriebene Teilszenen zu filmen."
Auf die Frage, ob es eine bestimmte Kulisse oder sogar einen bestimmten Raum in Episode I gibt, auf den er besonders stolz ist, verzieht sich Bocquets Gesicht zu einem Grinsen. "Nein, und man hat mir diese Frage schon öfter gestellt.", meint er. "Es gibt fünf oder sechs Hauptschauplätze, die jeweils völlig unterschiedlich sind. Und selbst die kleinste Kulisse kann eine ganz eigene Form von Befriedigung geben. Es geht nicht nur um die Größe oder das möglichst Ungewohnte. Allgemein kommt der meiste Stolz, die meiste Befriedigung aus dem Gesamtwerk.
Und ich denke, ein besserer Zeitpunkt für diese Frage wäre, wenn wir alle den Film gesehen haben. Denn bis dahin, wissen wir nie, was zu sehen ist und was nicht.", fügt Bocquet hinzu.
Der Szenenbildner weist darauf hin, dass Lucas selbst bei extrem ungewöhnlichen Schauplätzen eine Verbindung zu solchen schätzt, die dem Publikum vertraut sind. "Deshalb entwickeln wir geographische und landschaftliche Gegebenheiten wie Wälder oder Wüsten oder architektonische Stile, die allgemein bekannt sind, darunter klassische Architektur oder Jugendstilbauten, um den Zuschauern den Einstieg zu erleichtern. Wenn man etwas völlig Abstraktes gestaltet, etwas, das mit dieser Welt nichts zu tun hat, besteht ein erhöhtes Risiko, dass das Publikum dies nicht als real annimmt. Die Zuschauer brauchen etwas, an das sie sich klammern können, und wenn es bloß unterbewusst geschieht."
Die Arbeit an den Drehorten ähnelte der in den Leavesden-Studios sehr, erzählt Bocquet. "Natürlich ist man schon rein geographisch weit weg, und das bringt Kommunikationsprobleme mit sich, weil man Informationen nicht so schnell bekommt, wie man das gerne hätte, vor allem wenn es um Bildmaterial geht. Da muss man einfach delegieren und seinen Mitarbeitern vertrauen, ihre eigene Kreativität richtig einzusetzen. Ich war zum Beispiel nur einmal alle zwei oder drei Wochen in Tunesien, als wir dort unsere Kulissen bauten."
Die Aufnahmen an den Drehorten waren zwischen zwei Studiodrehs in Leavesden anberaumt, nicht zuletzt, um den Handwerkern in Leavesden Gelegenheit zu geben, die erste Welle der Kulissen ab- und die zweite aufzubauen. "Da wir in vielen Kulissen nur einen oder zwei Tage drehten, wäre es ohne Pause mittendrin unmöglich gewesen, alle Kulissen fertigzubekommen, und das obwohl Leavesden ein sehr großes Studio ist. Ein Vorteil, den diese Größe mit sich brachte, war, dass wir den Platz hatten, viele Kulissen aus der zweiten Welle bereits vorher an anderer Stelle zu bauen."
Entscheidungen über Kamerapositionen und besondere Kulissenteile wurden während der Kulissenkonzeption gefällt. MAnchmal entschied sich Lucas aber auch, hinterher einen anderen Kamerawinkel zu verwenden. "Das Filmemachen ist, genau wie der Designprozess, keine exakte Wissenschaft.", findet Bocquet. "Alles muss so flexibel wie möglich sein, und man muss alles einfach so vorbereiten, dass man der Einstellung, die der Regisseur will, so nahe wie möglich kommt."
An einem Film wie Episode I zu arbeiten, ist für Bocquet ein ständiger Lernprozess. "Jeden Tag gibt es etwas Neues, ob es nun etwas Kleines wie die Wahl des richtigen Schraubenziehers oder etwas Großes wie die Konzeptionierung, Planung und Finanzierung ist.", erklärt er. "Wenn man nicht ständig dazulernt, ist ein Beruf nicht so interessant wie er es sein sollte."