27. April 2005
George Lucas' Bestimmung war es, experimentelle Filme zu machen. Dann lockte ihn ein kleiner Film mit Namen Krieg der Sterne auf die Dunkle Seite. Gelingt es dem Vater des Blockbuster-Kinos seine avantgardistische Seele wiederzuerlangen?
George Lucas hängt wieder Tagträumen nach. Er blickt aus dem Fenster seines Hauses aus dem 19. Jahrhundert, das er vor 30 Jahren in Nordkalifornien kaufte, als er noch ein junger Mann war und sich an einem Drehbuch abmühte, das von der Idee einer Luftschlacht im Weltraum inspiriert worden war. Bücher über Kunst und Geschichte reihen sich an den Wänden des Raums, den er zu seinem persönlichen Zufluchtsort erwählt hat. Nebenan ist ein Schneideraum, per Netzwerk verbunden mit dem viktorianischen Hauptquartier seines Filmimperiums, der Skywalker Ranch, die nur wenige Kilometer entfernt liegt. Der Vater des digitalen Kinos ist bereit, die Technik einzusetzen, um seine künstlerischen Ziele zu erreichen, doch verwendet er weder eMail, noch besucht er die Tausenden von Fanseiten, die den Produkten seiner grenzenlosen Phantasie gewidmet sind. Die große, farbenprächtige Galaxis des Kriegs der Sterne nahm mit langschriftlichen Aufzeichnungen, geschrieben mit einem Bleistift der Stärke Nr. 2 ihren Anfang.
Am 19. Mai wird Die Rache der Sith, der letzte Teil dieser sechsteiligen Saga, auf Tausenden von Leinwänden von Chicago bis Schanghai zu sehen sein. Einige Tage zuvor wird der Film bei den Filmfestspielen von Cannes uraufgeführt. Das Epos, das Lucas' Karriere bestimmt hat, ist abgeschlossen, und der Regisseur steht am Scheideweg.
Lucas und seine Zeitgenossen wurden in den 1960ern groß und schworen, die Selbstzufriedenheit des alten Hollywood zu überwinden, durch Aufgabe traditioneller Formeln zugunsten einer neuen Art des Filmemachens, die auf Handkameras und dem radikal expressiven Einsatz von Grafiken, Animationen und Ton basieren sollte. Doch Lucas driftete ins kommerzielle Filmgeschäft ab und wurde zu einem der finanziell erfolgreichsten Filmemacher in der Geschichte, indem er das ultimative Popcorn-Kinoereignis schuf und vermarktete.
Jetzt ist er an den privatesten Ort in seinem Universum zurückgekehrt, um sich selbst neu zu erfinden. Er könnte den Rest seines Lebens damit verbringen, aus dem Vermächtnis von Krieg der Sterne Kapital zu schlagen. Stattdessen aber versucht er, eine zweite Chance zu erträumem, der rebellische Filmemacher zu werden, der zu werden vor langer Zeit sein Ziel war.
"Ich mag Krieg der Sterne, aber ich habe bestimmt nie erwartet, dass dieses Projekt mein Leben beherrschen würde.", sagt Lucas bei einem Gespräch auf der Skywalker-Ranch. Er schätzt, dass er zwei Jahrzehnte harter Arbeit in Krieg der Sterne investiert hat, die Zeit, in der er seine drei adoptierten Kinder als alleinerziehender Vater aufzog nicht eingerechnet. Jetzt ist er 60, und das einst schlacksige Wunderkind mit der Fliegerbrille ist bärenartiger geworden, mit einem weißen, kurzgeschnittenen Bart und einem bitteren Humor, der in den Dokumentarfilmen nicht zur Geltung kommt. Er sagt, dass er erleichtert ist, dass das längste Kapitel seiner Karriere abgeschlossen ist.
"Zu dieser Zeit würde ich normalerweise unter einer Menge Druck stehen, das Drehbuch für den nächsten Film fertigzubekommen. Es gäbe keine Pause, keinen Ausweg aus dem Stress und den kreativen Anforderungen. Deshalb ist es großartig, in der Lage zu sein, Abstand zu gewinnen."
Wer die Voraufführungen von Die Rache der Sith besucht hat, sagt, dass der neue Film - der von der Verwandlung des rebellischen und ehrgeizigen Anakin Skywalker in den bösartigen Darth Vader erzählt - emotional einnehmender ist, als die letzten beiden Prequels, Die Dunkle Bedrohung und Angriff der Klonkrieger. Lucas' Freunde beobachten, dass er mit diesem Film glücklicher zu sein scheint, dessen Rohschnitt er seit Monaten stolz auf der Ranch herumzeigt. Zu den geladenen Gästen zählen viele erlauchte Kollegen aus Lucas' Tagen in der Filmschule, darunter die Regisseure Steven Spielberg und Matthew Robbins, der Produzent und Autor Hal Barwood und Walter Murch, der 1997 zwei Academy Awards für seine Arbeit am Schnitt und dem Ton von Der Englische Patient gewann.
Doch Lucas wird sich nicht lange zurückziehen. Während er noch seinen kreativen Neuanfang plant, sieht er sich mit Dutzenden von Projekten konfrontiert, die er als Chef von Lucasfilm beaufsichtigen muss. Da ist zuerst seine Rolle als Ausführender Produzent von Red Tails, eines Films über eine Gruppe von schwarzen Amerikanern, die bis 1940 aus der Luftwaffe der US-Armee ausgeschlossen blieben und dann im Zweiten Weltkrieg 1500 Missionen flogen, ohne ein einziges Flugzeug zu verlieren. Eine vierte Episode der Geschichte von Indiana Jones wird gedreht, sobald Lucas, Regisseur Spielberg und Hauptdarsteller Harrison Ford sich auf ein Drehbuch einigen.
Und Lucas' Arbeit an Krieg der Sterne ist auch noch nicht abgeschlossen. Zwei weitere Fernsehablegerserien sind in Arbeit - eine Realserie, die andere eine Serie, die an Cartoon Networks Clone Wars anknüpft. Darüberhinaus beaufsichtigt Lucas eine weitere Wiederveröffentlichung aller sechs Filme, diesmal in 3D digital optimiert. Außerdem ist da Lucasfilms Animationsabteilung, die über Ideen für ihren ersten abendfüllenden Spielfilm brütet. Eine Abteilung von Dokumentarfilmern arbeitet Kurzdokumentationen über historische Persönlichkeiten, die auf den DVDs der Fernsehserie Die Abenteuer des jungen Indiana Jones enthalten sein sollen. Lucas entwickelt darüber hinaus zwei neue Fernsehserien: "eine über die Zukunft und eine über die Medien.", erklärt er und fügt hinzu, dass sie "kontrovers und schwer an den Mann zu bringen" sein werden.
Selbst wenn Lucas' persönliche Beteiligung sich als ungenügend erweist, diese Serien bei einem Fernsehsender unterzubringen, hat er kaum Grund, sich Sorgen darüber zu machen, dass sein Unternehmen in die roten Zahlen geraten könnte. Mit den Gewinnen aus Sith-Produkten von Lego, Topps, Cingular und Hasbro, kann Lucas' digitales Reich der Zukunft gelassen entgegensehen. Das Überleben ist gesichert bis lange nachdem General-Grievous-PEZ-Zuckerspender unter Betten von hier bis Coruscant begonnen haben, Staub anzusetzen.
Nun sagt Lucas, dass er beschlossen ist, diese finanzielle Sicherheit auszunutzen, um Filme zu machen, die niemand von ihm erwartet. Er behauptet, dass sich ein Haufen von Ideen auf seinem Schreibtisch stapelt, Ideen für "hochabstrakte, esoterische" Filme, die noch gewagter sein sollen, als sein Debütfilm THX-1138 aus dem Jahr 1971.
THX war eine erweiterte Version eines von Lucas' Studienprojekten an der Universität von Südkalifornien. Der Film nahm die Ästhetik des Cyberpunk - von William Gibsons Neuromancer bis Ridley Scotts Blade Runner - vorweg und zeigte eine pharmazeutisch betäubte Zukunftsgesellschaft, die unter immerwährender Videoüberwachung steht. Nachdem Lucas 2004 ein Jahr darauf verwendet hatte, die digitale Restaurierung des Films für seine Kinowiederveröffentlichung und das DVD-Debüt zu überwachen, stellte ein langzeitiger Mitarbeiter fest: "Ich habe George noch bei keinem anderen Projekt so aufgeregt erlebt wie bei diesem." Lucas sagt, dass die restaurierte Fassung von THX nur ein Vorgeschmack auf Filme sei, die noch härter an der Grenze sein würden und bei denen er selbst Regie führen werde.
"Ich habe mir das Recht erworben, einfach nur Dinge zu machen, die ich auf meine Art provokativ finde.", sagt er. "Ich habe mir das Recht erworben, zu versagen, was bedeutet, dass ich Filme machen werde, die ich für wirklich großartig halte, die aber keiner sehen will."
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