Die Directors Guild of America hat sich unlängst mit den Regisseuren James Cameron und Jon Favreau zusammengesetzt, um über technische Fortschritte in der Filmbranche zu sprechen. Neben diversen technischen Details ging es dabei vor allem um die Frage, wie die beiden Filmemacher virtuelle Umgebungen in ihre fotorealistischen Filme überführen.
Favreau: Ich habe gelernt, dass ich viel Energie aus meiner Zeit bei mir zuhause ziehen kann, aus meiner Familie, allein daraus, zuhause zu wohnen, erträgliche Arbeitszeiten zu haben, denn diese Filme zu drehen, nimmt so viele Jahre in Anspruch. Am König der Löwen arbeite ich seit drei Jahren. Und der begann als animierter Film mit Storyboards, und darauf baut man dann auf. Wie man diese technischen Methoden beherrscht, habe ich ich gelernt, indem ich mir Deine Arbeit an Avatar angesehen habe und durch meine Arbeit am Dschungelbuch. Beim König der Löwen natürlich mit VR anstelle von Motion-Capturing, aber im Grunde hat man in beiden Fällen mit einer virtuellen Kamera zu tun.
Für mich ist jeder Film ein Puzzle, und ich versuche die Technik einzustzen, die zu diesem Puzzle passt. Beim Dschungelbuch hatten wir ein echtes Kind und Teile echter Kulissen, also gab es auf diesem Wege eine faktische Basis. Die Figuren waren dann CG, und die realen Kulissen wurden in etwas Organisches erweitert. Beim König der Löwen hatten wir nichts Organisches, es gab keine Kulissen, keine Figuren, kein Motion-Capturing. Es gab überhaupt keine Kameraarbeit, also haben wir Beleuchtung und Kameras und Kulissen aus der Gleichung herausgenommen und einen leeren Raum, eine virtuelle Bühne, geschaffen, genau wie Du, als ich damals zu Besuch kam, als Du für Avatar das Capturing gemacht hast.
Beim König der Löwen haben wir die Animation mit der Spiele-Engine Unity entwickelt. Erst haben wir alle Umgebungen entwickelt und dann sind wir mit VR in diese Umgebungen hineingegangen. Wir konnten darin herumlaufen und haben mit VR in der fertigen Umgebung nach Drehorten gesucht.
Wir waren sechs Leute, darunter unser Kameramann Caleb Deschanel, unser Effektchef Rob Legato und unser Szenenbildner James Chinlund, und sind mit unseren Headsets herumgelaufen. Und haben quasi eine Art Mehrspieler-Filmdreh-Spiel in VR gespielt. Anstatt mit Handkameras mit Bildschirmen herumzulaufen, haben wir Controller benutzt und konnten damit direkt Einstellungen festmachen. Und bei den Dreharbeiten haben wir dann das ganze Team auf diese virtuelle Bühne geholt.
Wir hatten unseren Kamerawagen, einen Kran, und damit die ganzen analogen Kamerabewegungen, und auf diese Weise haben wir für die spätere Animation einen natürlicheren Look erzeugt. Wenn man uns beobachtet hätte, hätte man quasi ein normales Filmset gesehen – mit Regieassistenten und dem ganzen Drum und Dran –, nur dass wir inmitten eines leeren Raums unterwegs waren. Die ganze Beleuchtung fand nur in der virtuellen Umgebung statt, dort hatten wir Scheinwerfer und und über uns einen virtuellen Himmel.
Wir haben Techniker, die nicht unbedingt Ahnung vom Filmemachen hatten, und Filmemacher, die keine Ahnung von Technik hatten, zusammengebracht und sind so in die Fußstapfen von einhundert Jahren Filmgeschichte getreten. Wir haben auf das aufgebaut, was Du bei Avatar gemacht und was wir ins Dschungelbuch überführt hatten.[…] Ein großer Vorteil unserer aktuellen Technik ist, dass wir mit Spiele-Engines arbeiten, die für Videospiele entwickelt wurden und die Virtual-Reality-Tools antreiben, und diese Technik hat einen Punkt erreicht, wo wir all das virtuell nachbilden können, was analoge Bildwelten ausmacht. Wenn man eine Lichtquelle bewegt, sieht man das also. Wir haben am Ende beim König der Löwen eine Epic-Game-Engine mit diesen neuen Nvidia-Gaming-Grafikkarten verwendet und bei The Mandalorian, wo Du mich besucht hast, Unity. Darin steckt genug Rechenleistung, um all diese Beleuchtungseffekte zu simulieren, sodass man sie tatsächlich direkt live sehen kann. Man muss seinem Kameramann nicht erst erklären, was da theoretisch sein sollte, sondern er sieht, wenn ich eine Lichtquelle bewege, dass sich alles wie in der wirklichen Welt verändert.
Der nächste Schritt ist dann zu sagen: Können wir ohne Umweg über Greenscreen und reale Lichtquellen alles direkt filmen? Beim Dschungelbuch hatten wir das Problem, dass wir dauernd Zeit verloren haben, weil wir die Greenscreens oder Bluescreens zusammen mit der Kamera bewegen mussten. Und dann muss man seinen Bluescreen neu beleuchten und die Lichtquellen kaschieren.
Cameron: Mit dem großen LED-Setup, das Du benutzt hast, hast Du quasi einen Garbage-Matte-Effekt um die Figuren gelegt und hattest so immer einen weichen Schatten vor dem Greenscreen.
Favreau: Richtig, man erzeugt quasi einen Strahlenkranz.
Cameron: Und der bewegt sich mit der Figur.
Favreau: Er bewegt sich mit der Kamera. Und dann kann man ein virtuelles Himmelszelt dazunehmen. Wenn man die Umgebungen vorher hat, kann man das erreichen, was Alfonso [Cuarón] bei Gravity geschafft hat, diesen realistischen interaktiven Beleuchtungseffekt mit all diesen kleinen Videoschirmen. Aber da wir eine komplette visuelle Umgebung hatten, konnten wir häufig drehen, als wären wir in der freien Natur.
Zu Beginn dachten wir gar nicht, dass es uns gelingen würde, alles ohne Rendering und ohne Compositing direkt zu drehen, aber ich meine, wir haben etwa 70 Prozent aller Einstellungen bei The Mandalorian direkt gedreht, weil wir mit harten Oberflächen zu tun hatten. Es war Science-Fiction, kein Dschungel. Das wäre deutlich schwieriger gewesen. […]
Schon beim Dschungelbuch haben wir erst die Einstellungen geplant und dann überlegt, mit welchen Elementen die Figuren interagieren würden. Dort haben wir komplettes Motion-Capturing gemacht mit kleinen Kulissenbauteilen, die direkt in die Greenscreen-Erweiterung der Umgebung übergingen. Wir haben auf diese Weise gelernt, was man benötigt, um mit der Umgebung interagieren zu können, was nicht so viel anders ist als das, was sie damals bei Der Zauberer von Oz getan haben. Sie haben sich überlegt, wo die Straße verläuft und wie viel davon sie tatsächlich bauen müssen.
Und deshalb hat man selbst bei einem Film, der „real” gedreht wird, einem Marvel-Film zum Beispiel, noch einen Greenscreen im Hintergrund. Man muss planen, mit welchen Elementen man interagieren will und woher das Licht in der Szene kommt. Da ich den Großteil von The Mandalorian selbst geschrieben habe, konnte ich das Drehbuch so schreiben, dass alles auf unsere virtuelle Bühne passte und dass die Umgebungen in etwa so groß waren wie im ersten Star-Wars-Film, der ja trotz seiner spektakulären Effekte eine ziemliche Low-Budget-Nummer war. Wir haben diesen Look übernommen, weil er ziemlich gut zu unserer Technik passte.
Cameron: Viele Leute glauben, dass es eine menschliche und eine technische Dimension des Filmemachens gibt. Ich behaupte, beides ist eins. Es sollte eins sein.
Favreau: Beim Dschungelbuch habe ich mich sehr an Dir orientiert, an Deinem Kamerasystem, an Deiner Ausrüstung, an all diesem Zeug.
Cameron: Ich habe in nativem 3D gedreht...
Favreau: Mit Deinem Kamerasystem MotionBuilder. Wir haben auch noch Photon benutzt, aber wir waren in einer virtuellen Umgebung und sind im Grunde Deinem Vorbild gefolgt. Und wir haben Deine Methoden unseren Anforderungen angepasst, weil wir tatsächliche Kameraarbeit genau wie Du mit neuer Technik vereinen wolten. Aber dann sieht man sich George Lucas an, und nur wenigen Leuten ist klar, wie viele Dinge er entwickelt hat, ohne die wir heute keine Filme machen könnten. CGI, EditDroid...
Cameron: Mehrachsiges Motion-Control. Das alles war revolutionär.
Favreau: Wir brauchen solche Leute, die dazu beitragen, Technik zu vermenschlichen. Filme waren schon immer eine Mischung aus Technik und alten, mythischen Erzählungen. Und ich fand, ihr beide habt das auf eure jeweils eigene Weise ernstgenommen.
Cameron: Ich habe mich von George inspirieren lassen. Er war um die 10 Jahre vor mir dabei. Er und Steven, das waren die Leute, die ich bewundert und denen ich nachgeeifert habe.
Favreau: Interessant an Steven ist, dass er manchmal komplett auf herkömmliche Weise arbeitet und dann mit Sachen wie Jurassic Park und Ready Player One am technischen Limit. Er liebt Technik.
Cameron: Ich glaube, er liebt sie nicht so sehr, aber er liebt es, Techniker dazu zu zwingen, neue Herausforderungen anzugehen. Wie die Lösungen aussehen, interessiert ihn, glaube ich, nicht annähernd so sehr, wie sich hinzustellen und zu sagen: Das hier will ich machen, macht es. Und so zwingt er seine Leute, neue Maßstäbe zu setzen.
Favreau: Er ist definitiv ein Regisseur der alten Schule, der sich fragt, wie er eine Geschichte erzählen kann. Du hast Dir häufiger technische Neuerungen angesehen und Dir überlegt, welche Geschichte Du damit erzählen könntest. Wie bei Titanic.
Cameron: Absolut. Und Avatar entstand, weil ich einer der Gründer von Digital Domain war und sehen wollte, wohin sich CG entwickelt. Ich wollte nicht einfach nur mit dem Strom schwimmen, ich wollte dem Strom ein Bett suchen. […] Avatar habe ich geschrieben, um Digital Domain zu pushen. Ich habe versucht, eine riesige Provokation aufzubauen, um sie zu zwingen, ein neues Level zu erreichen. und alle meinten, es wäre unmöglich, aber wir wussten immer, dass wir fotorealistisch menschliche Emotionen einfangen wollten. Damit hat es begonnen.
Das komplette, äußerst ausführliche, sehr technische und sympathisch nerdige Gesamtgespräch findet ihr auf den Seiten der DGA.
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Jedi Nizar
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