Zu seinem Einsatz als Komponist der Filmmusik zum Han-Solo-Film hat sich John Powell bislang zwar nur mit einem Smiley auf Facebook und einem unkommentierten Repost auf Instagram geäußert, aber in einem Interview mit Den of Geek Anfang des Monats kam auch Star Wars kurz zur Sprache. In erster Linie mag es jedoch als Einblick in seine Arbeitsweise und Musik dienen:
Gibt es einen Film, dessen Musik Sie dazu inspiriert hat, Filmkomponist zu werden?
Ich habe mich das selbst schon oft gefragt und wurde auch von anderen Leuten darauf angesprochen. Meine Beziehung zum Kino ist allerdings nicht sonderlich kinogeprägt: Ich bin in einer Kleinstadt in England aufgewachsen, wo es kein besonders tolles Kino gab. Ich erinnere mich bewusst nur, dort als Kind einen Film gesehen zu haben, nämlich das Dschungelbuch, aber zweifellos muss ich damals mehr Filme mitgenommen haben, wenn auch nicht in einer angemessenen Umgebung. Die ersten Star-Wars-Filme habe ich nie im Kino gesehen.
Generell war ich mehr der TV-Typ und habe dort, glaubt man das, ständig Kriegsfilme gesehen. Einer meiner Lieblingsfilme war Gesprengte Ketten, und ich weiß noch, wie mitreißend ich seine Musik fand. Nicht nur das Hauptmotiv, das als Parodie des Brücke-am-Kwai-Marschs angelegt war, sondern auch anderes Zeug, das stark vom Schillinger-System beeinflusst war, das wir [an der Musikuniversität] Berklee auf dem Lehrplan hatten. Interessante, amerikanische Harmonien wie bei der Verfolgungsjagd, wenn Steve McQueen mit dem Motorrad über den Zaun springt. Diese oktatonische Musik. Der Stil der amerikanischen Musik des frühen 20. Jahrhunderts gefällt mir sehr, Musik wie die von Aaron Copland. Es gibt dort diese klassische Raffinesse, aber es steckt viel Kraft dahinter.
Zur gleichen Zeit habe ich damals West Side Story gesehen, und dabei handelt es sich natürlich nicht um Filmmusik, aber ich habe Elmer und Leonard Bernstein damals oft miteinander verwechselt. Ich weiß noch, wie ich West Side Story sah und dachte, dass Filmmusik genau so funktionieren sollte. Das hat mir über die Jahre sicherlich einige Schereien eingebrockt, denn in diesem Film ist die Musik ja die Geschichte. Es ist eine opernhafte Herangehensweise.
Andererseits habe ich an Filmen wie Die glorreichen Sieben und Gesprengte Ketten gelernt, wie wichtig Musik für das Erzählen einer Geschichte ist. Daneben habe ich diverse Zeichentrickserien gesehen, Tom und Jerry, Scooby Doo und ähnliches. Ich bin quasi mit den Tom-und-Jerry-Kurzfilmen großgeworden, die für ihre Gags im Handumdrehen zwischen atonaler Musik zu lateinamerikanischen Klängen zu einem Rumba oder kubanischer Musik wechselten. Das war schon reichlich verwirrend.
Gleichzeitig habe ich mich dann mehr für klassische Musik interessiert, und wenn man das alles miteinander mischt und aufkocht und durchrührt, dann landet man bei meiner Filmmusik.
Sie sind zur gleichen Zeit in Hollywood aufgeschlagen, wie Hans Zimmers Studio Remote Control Productions, das damals noch als Media Ventures bekannt war. Wie haben Sie dort einen Fuß in die Tür bekommen?
Hans arbeitete damals in London bei der gleichen Musikproduktionsfirma wie ich und schrieb Musik für Air Edel. Also technisch gesehen, hatte er dort schon aufgehört, als ich dort anfing, aber er hatte nach wie vor gute Kontakte ins Unternehmen.
Sie haben mich als einen ihrer 20 Komponisten eingestellt, und binnen einiger Jahre war ich zu dem Typen geworden, der all sein Geld in Ausrüstung investiert. Es gab dort Komponisten, die sehr gut mit Werbemusik klarkamen, aber ich war derjenige, der am meisten auf technische Mittel setzte und das auf eine Weise, die niemand sonst dort interessierte. Als Hans also zurückkam und für ein Projekt Hilfe brauchte, wurde mein Name genannt, weil ich derjenige war, der viele Sampler am Start hatte.
Zum ersten Mal begegnet bin ich ihm bei Air Edel. Er mochte mich, gab mir mehr Geräusche und Sampler, um ihn zu unterstützen. Letztlich arbeitete ich für einen anderen Komponisten, der für ihn als Ghostwriter arbeitete. Wir stellten unsere Demo vor – heutzutage eine völlig normale Sache, aber damals gab es das nur bei Hans –, und nachdem ich aus dieser Erfahrung gelernt hatte, ging es mit meiner Karriere aufwärts.
Ich habe sehr viel von damals mitgenommen: Ich demo-e absolut alles. Das gibt mir die Kontrolle über meine Arbeit, es erlaubt mir, meine Musik so aufzubauen, wie ich das will. Natürlich schränkt es einen ein und man hat sehr mit diversen Stolperfallen zu kämpfen, aber ich glaube, ich hätte meine Karriere in ihrer jetzigen Form nie haben können, hätte ich die Methode, die Hans wegweisend eingeführt hat, nicht angewendet.
Danach haben Sie für John Woo Im Körper des Feindes gemacht, ein riesiges Projekt. Hat Sie dieses Projekt nachhaltig beeinflusst?
Der Auftrag kam über Media Ventures zu mir, und sie wollten eigentlich Hans haben, niemand anderen. Es musste Hans sein. Er hatte bei Operation - Broken Arrow mit John Woo zusammengearbeitet, der das wiederholen wollte, aber Hans hatte keine Zeit. Ich hatte damals mit ihm zusammengearbeitet, und er mochte mich. Er gab quasi eine Garantie für mich ab und sagte, lasst den Jungen mal ein paar Motive für euch entwickeln. Auf Grundlage von jeder Menge Filmmaterial habe ich das dann zwei Wochen lang gemacht, und an einem Freitagnachmittag spielte ich die Musik für den Schnitttechniker, die Produzenten und John Woo persönlich.
Ich stellte ihnen diese Demos vor, und der Cutter fragte, ob ich die Musik tatsächlich geschrieben hätte, oder ob es nicht doch Hans war. Der hatte mir zwar viele gute Ratschläge gegeben, aber die Musik war von mir. Und so erklärten sie sich einverstanden, solange Hans die Produktion übernahm. Ich glaube, er hatte diese Herangehensweise von Stanley Myers übernommen, dieses „lasst die Jungen mal versuchen, etwas zu komponieren”. Er ist ein sehr guter Lehrer, bzw. er wäre es geworden, wenn er nicht selbst Komponist geworden wäre.
Daraus habe ich also viel gelernt. Und an der Arbeit am Rest des Films war er natürlich auch beteiligt, um sicherzustellen, dass ich es nicht vermassele. Technisch und emotional habe ich viel gelernt. Und ich habe gelernt, dass ich praktisch für ihn einsprang und entsprechend nicht zu weit von seinem Stil abweichen sollte. Damals wollten sie, dass alles von Media Ventures einen ähnlichen Klang hat, d.h. wenn man einen dieser Aufträge ergattert, fragt man: Wollt ihr mich oder wollt ihr Hans? Am Anfang war es immer so, dass sie Hans wollten, ihn aber nicht kriegen konnten und deshalb jemanden suchten, der praktisch genauso klang.
Und wir hatten alle die gleiche Ausrüstung, die gleichen Geräusche, die gleichen Master und die Vorgabe, nicht dahin zu gehen, sondern dorthin. Wir klangen deshalb alle mehr oder weniger wie er. Irgendwann wird das natürlich zu einer wirtschaftlichen Frage, weil man irgendwann sagt, nein, ich möchte das nicht machen. Ich habe meine eigene Stimme und die wird für euch funktionieren. Und wenn dem wirklich so ist, ist es toll. Wenn nicht, wird man wegen sowas vermutlich gefeuert werden. Bei seinem ersten Auftrag ist man also noch allzu bereit, sich darauf einzulassen, aber ich finde, selbst aus Im Körper des Feindes bin ich ein Stück weit herauszuhören.
Es war mir aber natürlich schon klar, dass ich für einen bestimmten Sound ausgewählt worden war. Heute würde man mich auf Grundlage eines atonalen Soundtracks nicht für einen animierten Film auswählen. Dafür hätten sie gar keinen Bedarf. Man wird ausgewählt, um die Musik zu machen, die passt. Bei der Bourne-Identität habe ich darauf reagiert und genau das Gegenteil von dem gemacht, was ich beim Media Ventures getan hätte.
Bei Bourne klingt generell alles genau anders. Doug Liman hat mich damals eingestellt, ohne überhaupt zu wissen, dass ich mit Hans zu tun hatte. Er hatte ein Demoband gehört, das ihm gefiel, holte mich zu sich, und ich schrieb einige weitere Demos für ihn. Die gefielen ihm, und aus unseren Gesprächen wurde klar, dass er etwas anderes haben wollte. Und ich war damals mehr als nur bereit, anders zu klingen, als irgendwer das erwarten würde.
Damals haben Sie Carter Burwell ersetzt, der nicht liefern konnte, was die Filmemacher haben wollten. Dann kamen Sie und haben etwas Revolutionäres gemacht.
Es ist leicht, das in der Rückschau so zu sehen, aber man muss wissen, dass Doug damals einen Film machen wollte, der in jeder Beziehung ein Anti-Bond war. Es war ein problematischer Film, und er brachte Carter ins Spiel. Ich liebe seiner Musik, aber ich glaube, er konnte die Sache nicht so weit ausreizen, wie Doug es brauchte. Und ich glaube, sie wussten selbst noch nicht ganz, wie der Film insgesamt sein sollte.
Zwischen dem Ende der Hauptdreharbeiten und Carters Beteiligung einerseits und mir andererseits lag ein Jahr. Es gab eine Menge Nachdrehs, und es sei einmal dahingestellt, ob Carter nur eine andere Art von Musik vorschwebte, oder er einfach keine Zeit mehr hatte. Ich jedenfalls hatte einfach großes Glück und ging an das Projekt mit dem Ziel heran, für mich etwas Neues auszuprobieren, was zufälligerweise genau das war, was Doug haben wollte. Ich hatte einfach Glück.
Sie haben früh in Ihrer Karriere an Endurance gearbeitet, einem sehr emotionalen Soundtrack. Wie schwierig ist es, emotionale Musik zu schreiben, ohne sich dabei zu verkünsteln?
Das ist wirklich schwierig. Endurance habe ich noch vor Im Körper des Feindes gemacht, produziert wurde der Film von Terrence Malick. Ich kannte weder ihn, noch den Film. Er und Hans wollten Endurance und Der schmale Grat zusammen machen, aber Hans hatte andere Dinge auf dem Tisch und lud mich zu einer Besprechung mit Terry ein. Der kommt also rein, kennt mich nicht und stellt sich als unglaublich poetische Figur heraus. Er behandelte mich wie einen Künstler.
Ich ging mit viel Energie aus diesem Gespräch heraus, arbeitete das Wochenende durch und schrieb praktisch die halbe Partitur. Am Montag gab es einen weiteren Abgleich mit Terry, und Hans meinte zu mir, „bitte sag mir, dass Du etwas hast, denn ich habe nichts”. Er hatte nichts vorbereitet, und ich stellte vor, was ich hatte. Und dann legte er eine Verkäufernummer hin, die Fred-Astaire-Niveau hatte. Terry war sehr zufrieden, wir nahmen die halbe Musik direkt auf, sie drehten noch mehr Material, ich arbeitete mit John Woo, und danach kam ich zurück und beendete das Projekt.
Was das Verkünsteln angeht, so ist das immer schwer. Was ich bei dem Film bereut habe, ist, dass am Ende noch ein Stück des Temp-Soundtracks von einem klassischen Komponisten mit dabei war. Terry hatte es auf den letzten Metern hineingenommen. Bei Der schmale Grat hatte Hans unglaublich hart gearbeitet, um alle temporären Tracks zu ersetzen, und dort war letztlich nur ein kleines Stück im fertigen Film.
Generell war Terry für mich sehr wichtig, weil er mir dabei half zu verstehen, wie Filme funktionieren können. Es war einfach beruhigend zu wissen, dass es Leute gab, die nicht einfach den üblichen Schmalz haben wollten. Was Hollywood normalerweise für solche Filme haben will, hat ihn überhaupt nicht interessiert.
Ich war da gerade von der Uni gekommen, wo ich Komponieren gelernt hatte, und mich interessierten alle möglichen Arten von Musik, wenn auch nicht unbedingt von Filmmusik. In Filme bin ich eigentlich nur hineingefallen. Ursprünglich hatte ich mit Werbung angefangen, um meine Rechnungen zahlen zu können, und von dort bin ich weitergegangen. Ich habe Musik für Kunstinstallationen, Theater usw. gemacht. Filmmusik war da eher Nebensache, weil ich mich mehr fürs Komponieren und die Albenproduktion interessierte. Dann hatte ich zum ersten Mal mit einem Film zu tun, und der erste Mensch, den ich dabei traf, war unglaublich offen. Terry hat in mir den Glauben geweckt, dass es eine Möglichkeit gab, weniger hollywoodartig zu sein. Es gab für mich einfach nicht nur diese eine Art, einen emotionalen Kontext zu schaffen.
Sie haben sich mehrfach mit animierten Filmen beschäftigt. Ende der 90er und Anfang der 2000er haben Sie dabei wiederholt – bei Antz, Chicken Run – Hennen rennen und Shrek – Der tollkühne Held – mit Harry Gregson-Williams zusammengearbeitet. Was hat diese Zusammenarbeit für Sie so erfolgreich gemacht?
Ich bin Harry zum ersten Mal begegnet, als ich Hans half, der gerade mit Der Prinz von Ägypten beschäftigt war. Ich war dort an der Song-Produktion beteiligt, mit der Filmmusik hatte ich weniger zu tun. Na ja, ich habe es versucht und bin gescheitert. Hans hat mich also auf die Songs angesetzt. [lacht] Aber ich glaube, Jeffrey Katzenberg hat Harry und mich bei der Arbeit an diesem Film kennen- und schätzengelernt. Als er dann Antz machte, wollte er Hans haben, der wieder keine Zeit hatte. Hans hat wohl Leute außerhalb von Media Ventures ins Gespräch gebracht, Craig Armstrong und Marius de Vries, wenn ich das richtig weiß. Er fand sie cool, weil sie z.B. Romeo & Julia gemacht hatten. Jeffrey antwortete dann wohl, wie wäre es mit John und Harry?
Wir wurden also einbestellt und produzierten ein paar Demos, die DreamWorks gefielen. Letztlich war es also Jeffrey, der uns zusammenbrachte. Wir waren ganz unterschiedliche Typen mit unterschiedlichen Denkweisen und Egos. Es war interessant, mit Harry zu arbeiten, weil Hans uns gewissermaßen gegeneinander ins Rennen schickte. Er rief mich in Harrys Zimmer und ließ mich etwas absolut Geniales anhören, und ich ging raus und dachte immer nur, dass ich mich echt steigern muss. Wir haben sowohl mit-, als auch gegeneinander sehr hart gearbeitet. Auch bei Chicken Run hat das wirklich gut funktioniert.
Ironie der Geschichte ist, dass ich England verlassen hatte, weil ich keine Film-Jobs bekommen konnte und nie geglaubt hatte, mal an einem Projekt von Nick Park für Aardman arbeiten zu können. Ich liebte seine Filme und die Musik darin, also war ich besonders überrascht, dass wir Chicken Run machen würden. Wir haben beide hart an dem Film gearbeitet.
Täuscht der Eindruck oder ist es wirklich besonders schwierig, lustige Musik zu schreiben, die sich nicht aufdrängt?
Oh ja, absolut. Ich bin gerade mit Ferdinand: Geht STIERisch ab! beschäftigt und versuche genau diese Balance zu finden. Ich habe gegenüber den Regisseuren immer mal wieder den Witz gebracht, welche Nummer von Carl Stalling sie gerade haben wollen, also wie irre das Ganze gerade klingen soll. Bei einigen Ice-Age-Teilen bin ich bis zur Spitze der Skala gegangen, und ich hoffe, die Musik hat funktioniert. Am unteren Ende der Skala findet sich dann so etwas wie Thomas Newmans Findet Nemo, der genau diesen Irrsinn kaum mitmacht, sondern sehr elegant gestaltet ist. Die Frage ist immer, ob man es mit Charme versucht und es dem Publikum erlaubt, entspannt zu bleiben, oder ob man den Comedy-Faktor aufgreift und auf die Spitze treibt. Ich kämpfe bei jedem Film in jeder Szene mit dieser Frage.
Eine absolute Antwort darauf gibt es nicht. Bei einigen Filmen habe ich das Gefühl, dass die Musik übertrieben ist und mich wahnsinnig macht. Das ist dann, wie ich es nenne, übermoduliert. Bei animierten Filmen kommt dazu, dass der Temp-Score sehr früh eingesetzt wird, nämlich schon, bevor der Film überhaupt gemacht wird. Sie schneiden die Storyboards auf Basis des Temp-Scores zusammen. Das kann schon drei Jahre vor dem Kinostart passieren. Sie schneiden die Storyboards, bauen Temp-Stimmen von Temp-Schauspielern ein, von Mitarbeitern oder auch vom Regisseur. Dann nehmen sie die fertigen Stimmen auf, und dann wird der Film produziert.
Aber am Anfang arbeiten sie eben nur mit diesen zusammengeschnittenen Storyboards, weil solche Filme generell nicht leicht zu handlen sind, weshalb sie so früh wie möglich eine frühe Fassung davon sehen wollen, um zu wissen, ob die Geschichte in die richtige Richtung geht. Da kommt dann die Temp-Musik ins Spiel, und die ist häufig sehr übertrieben, weil ja deutlich werden soll, was in den Zeichnungen geschieht. Wenn die endgültigen Schauspieler ihren Teil beigetragen haben, muss die Musik dann nicht mehr ganz so übertrieben sein, vor allem, wenn es um Musik geht, die einem quasi das Gefühl, das man gerade empfinden soll, mit dem Holzhammer verabreicht. Es nervt einfach, wenn einem Gefühle aufgezwungen werden. Wenn etwas nicht witzig ist und die Musik es witzig zu machen versucht, merken die Leute das doch. Und ja, ich bin mir sicher, dass auch ich das hier und da mache, also sowohl zu übertreiben, als auch mich zu sehr zurückzuhalten.
Alles richtig gemacht haben Sie hingegen bei Drachenzähmen leicht gemacht, und das gleich zweimal: Beim ersten Mal wurden Sie sogar für den Oscar nominiert. War das ein entscheidender Karrieremoment für Sie?
Mal so sagen, ich hatte mich damals damit abgefunden, nie einen „Oscar-Film” zu machen. Ich arbeitete immer an Filmen, die in der Beziehung keine zu große Aufmerksamkeit auf sich zogen. Ich wollte immer mit Filmen zu tun haben, die sich Leute auch in 50 Jahren noch ansehen. Die Oscar-Frage ist insofern pikant: Man kann seine Karriere auf solche Filme ausrichten und bewusst danach suchen, und ja, auch ich habe das hin und wieder gemacht. In jedem Fall habe ich es sofort bedauert, weil es langweilig und ermüdend ist. Ich habe versucht, für Filme Musik zu schreiben, an denen ich Spaß habe, damit ich auch Musik schreiben kann, die mir gefällt. Drachenzähmen leicht gemacht war ein Fall, wo der Film auch ohne mich schon richtig schön war.
Wenn der Blick in die Oscar-Geschichte eines lehrt, dann dass man für einen Oscar-Film wirklich schlechte Musik schreiben kann. Natürlich kann man sagen, dass diese beschissene Musik für den Film genau richtig ist. Ich schreibe nur ungern beschissene Musik. Musik für einen Film zu komponieren, kann leicht anstrengend werden, wenn man eintönigen Pampf schreiben muss. Ich wollte immer Musik machen, die Integrität hat.
Der erste Drachenzähmen leicht gemacht war mein erster Film für DreamWorks, bei dem ich keinen Flügelmann hatte. Vorher hatte ich immer mit Hans oder Harry oder jemand anderem gearbeitet. Jetzt konnte ich mal zeigen, dass ich ein großer Junge war. [lacht] Ein wirklich guter Film gibt einem in diesem Fall alles, was man braucht, um loszulegen. Ich weiß noch, wie ich zum erste Mal Shrek sah und dachte, „wow, da hab ich ja nicht viel zu tun, es ist ja schon alles da”.
Ich finde es wichtig, dass die Branche jedes Jahr zusammenkommt und Arbeiten bewertet, um künstlerische Leistungen zu belohnen. Ich finde es allgemein nur nicht toll, wenn man dabei übertrieben anspruchsvoll ist. Meine Lieblingsfilme sind durch die Bank weg keine Kunstfilme. Ich habe Citizen Kane noch nie durchgehalten, ohne einzuschlafen, und für mich ist Ein Schweinchen namens Babe ohne Zweifel einer der besten Filme aller Zeiten. Mondsüchtig ist auch so ein Fall. Ich bin wirklich kein Cineast. Ich mag manche Arten von Filmen und gebe das auch nicht auf, weil sie emotional für mich perfekt funktionieren. Ich habe die dreieinhalb Stunden von Kurosawas Ran durchgehalten, aber viel über Filme weiß ich trotzdem nicht.
Ich denke, ich mag einfach Filme, die für mich funktionieren, und nur weil ein Film intellektuell anspruchsvoll daherkommt, macht ihn das für mich nicht automatisch interessant.
Jerry Goldsmith hat einmal gesagt, das Orchester sollte immer das Zentrum des Ensembles bilden. In Ihrer Musik findet sich eine dynamische Mischung aus Orchester, Schlagzeug und elektronischer Musik. Welche Rolle spielt das Orchester für Sie?
Ich liebe Jerry Goldsmiths Musik, aber in der Hinsicht stimme ich ihm nicht zu. Man muss wissen, dass er einer sehr strengen Traditionslinie entstammte, die auf Ravel und Debussy zurückgeht, und er verstand außerordentlich viel von Komposition, musikalischer Integrität und Instrumentation. Er konnte seine Herangehensweise für Filme anpassen und hatte ein phantastisches Gefühl für das filmische Erzählen.
Viele Filme, die mir sehr gut gefielen, haben kein Orchester eingesetzt. Für mich steckt im ersten Album, das Aretha Franklin für Atlantic Records machte, genau so viel Kunst wie in Beethovens 5. Symphonie. Für mich gibt es da keinen Unterschied. Verschiedene Arten von Musik können gleiche Emotionen wecken, das Gefühl von Transzendenz.
Wenn man sich beispielsweise Ry Cooders Musik für Paris, Texas anhört, hört man dort nur eine Slide-Gitarre. Ebenso toll fand ich Gustavo Santaolallas Musik für Brokeback Mountain. Man kann auf viele Arten an Filme herangehen. Wir leben in einer postmodernen Epoche, in der man einerseits dem Zeitgeschmack und andererseits dem Geschmack in 15 Jahren huldigen muss. Die größte Gefahr ist eigentlich, dass sich Musik mit der Zeit altmodisch anhört.
Nehmen wir da nur Filme aus den 80ern, bei denen man das Jahr praktisch heraushören kann. Und dann haben wir zur gleichen Zeit Arbeiten von John Williams, bei denen das überhaupt nicht der Fall ist. Er setzt immer ein Orchester ein, weil es zeitlos ist. Das ist das Schöne an der Arbeit mit einem Orchester: Man kann unglaublich zeitlos sein. Andererseits verpasst aber vielleicht auch die Gelegenheit, eine andere musikalische Sprache zu sprechen.
2014 haben Sie in einem Interview gesagt, Sie bedauerten die Menge an Actionmusik, die aus Hollywood kommt. Wie schwierig ist es, Filme zu finden, die keine solche Musik benötigen?
Tja... Ich hatte Glück. Ich habe immer Arbeit gehabt und muss mir nie wieder Sorgen ums Geld machen. Ich war bei Im Körper des Feindes hin- und hergerissen, ob der Film zu gewalttätig ist. Die Heroisierung von Kriegern behagt mir nicht, diese Vorstellung, dass die Lösung darin besteht, dass der Stärkste gegen alle anderen kämpft. Heldentum hat die verschiedensten Gesichter. Der beste Kämpfer zu sein, ist nur eines davon.
Was ich gefährlich finde, ist, Gewalt akzeptabel erscheinen zu lassen. Ich habe dabei kein Problem mit Tarantino-Filmen, sondern mit Fernsehserien. Im A-Team feuern Leute endlose Salven aufeinander ab. Es wird nie gezeigt, was das realistische Ergebnis davon wäre.
Ich finde die Indoktrinierung in Hollywood sehr interessant: Ohne Autoren hätte keiner von uns Arbeit, das sollte ich vorausschicken. Aber diesen Autoren muss endlich klarwerden, dass sie sich ein paar neue verdammte Tricks einfallen lassen müssen. Es ist einfach nicht in Ordnung, dass jedesmal, wenn die Geschichte einen Schritt weitergehen soll, eine Folterszene anläuft. Das passiert andauernd, es ist inzwischen quasi die Standard-Methode, Hintergrundinformationen in einem Film zu präsentieren. Und es ist unfassbar lahm. Viel von der Gewalt in Filmen ist das Ergebnis von diesem Formeldenken: Ich habe Wonderwoman noch nicht gesehen, aber ich hoffe, dass sie ausnahmweise mal nicht nur wild um sich schlägt, sondern Mitgefühl zeigt und Leute mit Logik, Vernunft und Einfühlungsvermögen behandelt.
Genau das tut sie tatsächlich.
Sehr gut, wir brauchen solche Filme!
Wenn ihr Powell einmal über die Schultern blicken wollt, könnt ihr auch das haben: Auf Youtube könnt ihr 30 Minuten mit ihm verbringen.
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Höchst überraschend, dieser kritische Umgang mit dem aktuellen Hollywoodtrend, sowohl bezogen auf die Darstellung von Gewalt als übliches Werkzeug (Folterszenen) und das hohe Maß an Actionmusik.
Toto hat ja z.B. bei Dune gezeigt, dass man auch ohne Orchester einen vollen Klang und beeindruckenden Sci-Fi-Fantasy Sound hinbekommt, ohne dass wir bei John Carpenter landen. Ich bin gespannt, womit uns Powell bei Han Solo überraschend wird.
Xmode
George Lucas
Sashman
Xmode
George Lucas
Sehr interessantes Interview, das gute Einblicke hinter die Kulissen bietet.
Was hier bei Powell mitschwingt, ist eine gewisse Abneigung, oder sagen wir "Skepsis" gegenüber dem Mainstream - auch Oscar-Filme Mainstream, der wohl eine bestimmte Art Musik favorisiert. Er zieht da so einen Bogen von damals, als er klar umrissene Mainstream-Auftragsarbeiten annahm - noch mit Hans Zimmer als Mentor oder Ziehvater - bis hin zu diesem einen Filmemacher, der es nicht hollywoodlike haben wollte und hebt diesen positiv hervor.
Ich hoffe daher sehr, dass er mit Disney und LF gut klarkommt. Das dürfte auch eine klar umrissene Auftragsarbeit werden mit keinen allzu großen Freiheiten. Aber damit hat er ja Erfahrung.
(zuletzt geändert am 27.07.2017 um 20:08 Uhr)
MaYo
Die AMPAS (Academy of Motion Picture Arts and Sciences), die die Oscars vergibt, ist immer noch ein ziemlich konservativer Haufen, der zu oft nach dem "Kenn´ ich, nominier´ ich"-Prinzip verfährt. Es gibt seit ein paar Jahren aber den Versuch, die Strukturen der Academy zu verändern, jüngere Generationen stärker mit einzubinden, mehr Diversität zuzulassen, und sich Einflüssen von Außen mehr zu öffnen. Wie ernst es ihnen ist und ob es Früchte trägt, wird sich zeigen. Wie immer bei so verkrusteten Verhältnissen, in denen Geld und Interessen eine große Rolle spielen, wird es seine Zeit brauchen. Wenn sie denn eintreten, werden die Veränderungen klein sein und nicht immer bemerkt werden. Es gibt sie aber jetzt schon, und zwar auch im Bereich Filmmusik. Bis vor Kurzem war es noch absolut unüblich, dass pro Film mehr als ein Komponist für den Oscar nominiert wurde. Kollaborationen wurden so umgangen, auch wenn sie eine Berücksichtigung eigentlich verdient hätten. Das klassische Orchester, das Powell anspricht, galt auch in der Academy die meiste Zeit als Standard, sodass ungewöhnlichere Scores selten unter den Nominierten zu finden waren. In den letzten Jahren aber waren Filme wie "The Social Network" oder "The Hurt Locker" unter den Oscaranwärtern, die elektronische Musik aufwiesen, sehr stark mit Sound-Effekten verschmolzen waren, und in Kollaborationen entstanden sind (Trent Reznor und Atticus Ross von Nine Inch Nails z.B.). Also nicht unbedingt Arbeiten, die dem typischen Oscarprofil entsprechen. "Network" hat dann sogar gewonnen. Es gibt sie also, diese kleinen Veränderungen, und ich rechne damit, dass wir noch ein paar mehr sehen werden.
(zuletzt geändert am 27.07.2017 um 20:35 Uhr)
George Lucas
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